Interview
Logopädische Behandlung von Parkinson
Damit die Stimme auch langfristig stark bleibt
„Ich verstehe dich leider nicht“. Den Satz bekommen Parkinsonerkrankte nicht selten zu hören. Ursache sind Funktionsstörungen des Sprech-, Stimm- und Schluckapparats: Eine leise Stimme, eine undeutliche Aussprache, reduzierte Mimik und Schluckbeschwerden verringern die Lebensqualität, das seelische Wohlbefinden und können lebensbedrohlich werden. Wie logopädische Therapien wirksam und nachhaltig gegensteuern, den Verlauf abbremsen und sogar Rückgängig machen können, erklären Mirjam Gauch und Julia Hirschwald.
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*Aus Gründen der Lesbarkeit verwenden wir die männliche Form, meinen jedoch Menschen aller Geschlechter.
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„Lautstärke ist ein wichtiger Faktor“
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Mirjam Gauch (li) ist staatlich anerkannte Logopädin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Mainz und wissenschaftliche Projektmitarbeiterin der HAWK Hochschule für angewandte Wssenschaft und Kunst, Göttingen.
Julia Hirschwald, ebenfalls staatlich anerkannte Logopädin, ist Doktorandin am Trinity College Dublin und Leiterin der AG Logopädie im Parkinson Netzwerk RheinMain+, bei der auch Mirjam Gauch Mitglied ist.
Gesundheitskompass für Wiesbaden: Raubt Parkinson die Kraft, laut und deutlich zu sprechen?
Julia Hirschwald: Im Verlauf der Erkrankung spielt abnehmende Muskelkraft sicherlich eine Rolle. In frühen Stadien haben Sprech- und Stimmstörungen jedoch meistens senso-neurologische Ursachen. Das bedeutet, dass Patienten ihre reduzierte Stimmlautstärke selbst meist nicht wahrnehmen. Sie hören sich vielmehr als laut und deutlich. Werden sie von ihren Gesprächspartnern dann aufgefordert, etwas lauter zu wiederholen, gelingt das auch häufig.
Gesundheitskompass: Bei der Behandlung geht es also darum, die Selbstwahrnehmung an die Fremdwahrnehmung anzugleichen?
Mirjam Gauch: Genau. Das ist eine Besonderheit der Therapie bei Patienten mit Parkinson.
Gesundheitskompass: Bei Parkinson ist ein wirksamer Ansatz LSVT LOUD, eine zertifizierte Therapie zur Behandlung von Dysarthrien und Dysphonien, so die Fachwörter für Sprech- und Stimmstörungen. LSVT LOUD legt den Fokus auf das Training der Stimmlautstärke. Warum ist sie besonders wichtig?
M.G.: Wir versuchen, den Fokus so einfach wie möglich zu halten, da bietet sich Lautstärke an. Doch durch unser körperliches, stimmliches und sprecherisches Vorbild können wir noch mehr verbessern.
Gesundheitskompass: Welche Übungen sind das?
J.H.: LSVT ist ein sehr intensives Trainingsprogram. Vier Wochen lang sehen wir Patienten viermal pro Woche, jeweils für 60 Minuten. Zusätzlich üben sie täglich zu Hause. Insgesamt werden die Stimmlautstärke, die Tonhaltedauer und die Atmung, die Intonation und der Übertrag ins Sprechen geübt.
M.G.: Tatsächlich höre ich oft, ,Sie machen noch eine Sängerin aus mir’, aber darum geht es nicht. Wenn wir zum Beispiel wiederholt ein A laut und lang tönen lassen, sollen Patienten dadurch die Tonhaltedauer und Ausdauer trainieren. Und das Gefühl für die laute Stimme soll verinnerlicht werden, damit Patienten sie im Alltag einsetzen können, ohne darüber nachdenken zu müssen.
Gesundheitskompass: Schadet es Menschen mit Parkinson denn, hin und wieder ohne logopädische Anleitung mit der Lautstärke zu spielen, einen Urschrei auszuprobieren oder lauthals zu singen?
M.G.: Leider gibt es keine Patentrezepte. Die Symptome sind vielmehr indivduell. Ich rate darum davon ab, selbst zu experimentieren. Man kann mit falsch eingesetzten Übungen nämlich auch der Stimme schaden.
J.H.: Um einen nachhaltigen Erfolg zu erzielen, ist es am besten, sich so früh wie möglich vom behandelnden Arzt zu einer Logopädin überweisen zu lassen. Je früher Patienten zu uns kommen, desto effektiver und nachhaltiger können wir helfen.
Gesundheitskompass: LSVT ist nicht die einzige Methode. Es gibt Therapien, bei denen zum Beispiel das Nachsprechen von Zungenbrechern oder Atemübungen wichtige Rollen spielen. Was halten Sie davon?
M.G.: Bestimmt haben Behandler und Patienten damit gute Erfahrungen gemacht und Erfolge erzielt. Es gibt dazu allerdings keine wissenschaftlichen Studien, die die Wirksamkeit belegen, und auch nicht darüber, wie lange die Verbesserungen anhalten.
Gesundheitskompass: Können Menschen mit Parkinson, wie Schlaganfallpatienten, auf eine spontane Besserung ihrer Dysarthrie hoffen?
J.H.: Nein, in der Regel nicht. Sind Stimme und Sprechen verändert, stellen sie sich nicht dauerhaft von allein wieder her. Für alle Symptome bei Parkinson gilt, dass sie sich zwar zeitweise verbessern oder sogar verschwinden können. Der Gesamtverlauf der Erkrankung ist jedoch degenerativ, das heißt, sie schreitet voran und ist bisher nicht aufhaltbar und heilbar.
Gesundheitskompass: Neben Dysarthrien behandeln Sie auch Dysphagien, Schluckstörungen. Wirkt sich LSVT auch darauf positiv aus?
J.H.: Ja, auch das konnte durch kleine Studien belegt werden. Es sind ja die selben Muskeln und Nerven im Hals beteiligt. Aber LSVT ist nicht die primäre Therapie, wenn jemand mit schwerwiegenden Schluckbeschwerden zu uns kommt, die durchaus lebensbedrohlich sein können.
M.G.: In solchen Fällen klären wir als erstes durch bildgebende Verfahren ab, was genau im Hals los ist. Tritt die Störung bei Flüssigkeiten auf? Bei bestimmten Nahrungsmitteln? Ab welchen Mengen? Basierend auf der Diagnostik, wählen wir die Behandlungen und Übungen entsprechend aus und passen sie individuell an.
Gesundheitskompass: Gibt es eine Übung, die generell das Schlucken erleichtert?
J.H..: Auch da gibt es keine pauschale Antwort. Vielen hilft es, das Kinn beim Schlucken in Richtung Brustbein zu senken, denn durch die Position kann es zum Beispiel leichter sein, Flüssigkeiten im Mund zu kontrollieren. Doch bei einigen ist das Manöver, das wir Chin-Tuck nennen, kontraproduktiv.
M.G.: Das ist beispielsweise bei Betroffenen der Fall, bei denen die orale Boluskontrolle, so der Fachbegriff für die Kontrolle über Nahrung oder Flüssigkeiten im Mund, intakt ist, die jedoch eher Schwierigkeiten haben, die Nahrung abzuschlucken. Das Chin Tuck-Manöver erschwert ihnen das zusätzlich.
Gesundheitskompass: Welche Dysphagie-Therapien bei Parkinson gibt es?
J.H.: Eine Methode, die das Schlucken verbessern kann, ist EMST, ein Ausatemtraining mit Hilfe eines kalibrierten Geräts. Ein weiterer viel versprechender Ansatz sind Therapien, die nicht mehr allein auf die Kräftigung der Muskeln setzen, die für das Schlucken gebraucht werden. Der Schwerpunkt liegt vielmehr auf der zeitlichen Koordination des Zusammenspiels der Muskeln und dem gezielten Einsatz von Kraft. Wir nennen das Skill Training.
M.G.: Menschen mit Dysphagie sollten möglichst im ersten Schritt eine Schluckdiagnostik mit bildgebenden Verfahren machen lassen, am besten durch Logopäden oder, falls das nicht möglich ist, durch zertifizierte Ärzte. Im zweiten Schritt folgt die individuell angepasste logopädische Therapie.
Gesundheitskompass: Sie sind beide aktiv im Parkinsonnetz RheinMain+ (gesprochen: plus). Wie profitieren Ihre Patienten davon?
J.H.: Wir tauschen Erfahrungen und Wissen mit Kollegen und Betroffenen aus, denen wir ohne das Netz nicht begegnet wären. Und wir entwickeln fachübergreifend gemeinsam Konzepte, die die Kommunikation untereinander und letztendlich die Behandlungen optimieren und die Lebensqualität verbessern. Derzeit erarbeiten wir eine Quickcard Dysphagie, ein Dokument, das die Kommunikation zwischen behandelnden Teams und sektorenübergreifend verbessert.
M.G.: Das kann man sich als Vordruck vorstellen, in den Behandler standardisiert Symptome, Beobachtungen und Therapien für jeweils einen Patienten oder Patientin eintragen. Anhand der Informationen können wir uns interdisziplinär einfacher abstimmen, zum Beispiel können der Neurologe oder die Neurologin direkt erkennen, wenn auf Grund der logopädischen Diagnostikergebnisse die Medikation angepasst werden muss.
Gesundheitskompass: Die Quickcard macht die individuelle Therapie effektiver?
M.G.: Genau. Das ist das Ziel.
Gesundheitskompass: Sie sind jung. Die meisten Menschen mit Parkinson könnten ihre Eltern, Groß- und Urgroßeltern sein. Stoßen Sie auf Skepsis?
M.G.: Meine Erfahrung ist, dass gerade Menschen mit Parkinson sehr offen dafür sind, sich auf junge Behandlerinnen einzulassen. Vertrauen und die Chemie sind wichtig für den Erfolg der Therapie.
J.H.: Ich hatte einmal einen Patienten, der anfangs skeptisch reagierte. Er war in jungem Alter an Parkinson erkrankt, noch berufstätig und aktiv. Bei ihm dauerte es ein paar Therapieeinheiten, bis er aufgetaut ist. Aber danach war das Vertrauen in meine fachliche und menschliche Kompetenz vielleicht sogar größer als normal. Wir haben uns jedenfalls sehr gut verstanden.
Gesundheitskompass: Welche Fähigkeiten erfordert Ihr Beruf, neben Fachwissen?
J.H.: Empathie, Geduld, aufrichtiges Interesse an Menschen.
M.G.: Psychologie und Kommunikation sind Bestandteile unserer Ausbildung. Es kann sehr beängstigend und frustrierend sein, die Stimme zu verlieren oder damit zu leben, dass einem ständig Speichel aus dem Mund läuft und man sich regelmäßig verschluckt. Logopäden brauchen Feingefühl, eine positive Grundhaltung und die Fähigkeit, Lob auszusprechen, das motiviert und Selbstvertrauen gibt.
J.H.: Wichtig ist auch, unsere Grenzen zu kennen, zu wissen, wann Patienten sich an Therapeuten anderer Fachrichtungen oder Ärzte wenden sollten. Und Sätze und Gespräche, die wir beim LSVT einüben, können sehr persönlich sein. Auch seelisch und emotional müssen wir auf einen professionellen Abstand achten.
Gesundheitskompass: Sollte man die Therapeutin also auch nach Sympathie auswählen?
M.G.: Hat man die Wahl bei gleicher Qualifikation, dann ja, unbedingt!
J.H.: Die Behandlung soll ja auch Spaß machen. Das wird schwierig, wenn man die Behandlerin nicht mag.
Gesundheitskompass: Welche Momente in ihrem Berufsalltag erleben Sie als besonders erfüllend?
M.G.: Wenn ich Sätze höre wie: ,Ich kann wieder telefonieren.’ Oder neulich hat ein Patient erzählt, dass er sich seit langem wieder getraut hat, sich in der Gruppentherapie am Gespräch zu beteiligen. Es ist sehr bewegend mitzukriegen, dass sich die Behandlung positiv auf die Lebensqualität auswirkt.
J.H.: Und es ist so schade, dass es noch immer viele Menschen mit Parkinson gibt, die keine logopädische Behandlung in Anspruch nehmen. Neulich im Restaurant saßen zwei ältere Herren neben mir. Einer von ihnen hatte vermutlich Parkinson. Wir kamen ins Gespräch, doch leider konnte ich ihn nicht verstehen. Aus Höflichkeit habe ich nach Gefühl geantwortet. Aber wahrscheinlich haben wir aneinander vorbeigeredet. Das ist sehr schade und auch frustrierend. Das kann Logopädie ändern.
M.G.: Sie verbessert nicht nur das Sprech- und Schluckvermögen. Sie hilft, verstanden zu werden, sich selbst und anderen Gehör zu verschaffen und sich nicht einsam zu fühlen.
Gesundheitskompass: Sehr geehrte Frau Gauch, sehr geehrte Frau Hirschwald, vielen Dank für das Gespräch!