Erfahrungsbericht
Alles wird anders,einiges auch besser"
„2006 stand ich mitten im Leben und arbeitete erfolgreich in einem internationalen Telekommunikationskonzern. In meiner Freizeit war ich sportlich aktiv, und mein Mann und ich machten Wanderreisen in der ganzen Welt. In Patagonien bemerkte ich zum ersten Mal, dass sich mein Gang veränderte. Das Knie drückte sich nach hinten weg. Ich konnte die Bewegung nicht kontrollieren. Gefühlt Tag für Tag wurde sie spürbarer und sichtbarer. Von Freunden bekam ich immer öfter zu hören: ,Du gehst irgendwie komisch`.
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*Aus Gründen der Lesbarkeit verwenden wir die männliche Form, meinen jedoch Menschen aller Geschlechter.
"Heute, nach 15 Jahren mit Parkinson, lebe ich vielleicht sogar engagierter, bewusster, positiver und auf jeden Fall dankbarer als vorher."
Stephanie Heinze, 55, Botschafterin & Ehrenpreisträgerin der Hilde-Ulrichs-Stiftung für Parkinsonforschung, lebt seit mehr als 15 Jahren mit Parkinson – bis heute aktiv und glücklich.
Als erstes machte ich einen Termin beim Orthopäden. Er schickte mich zum Neurologen, der mich auf MS, Gehirntumor und Parkinson untersuchte, aber keine Hinweise fand. Drei, vier weitere Neurologen suchte ich auf. Von jedem erhielt ich einen unspezifischen Befund. Einer lautete: Burnout. Ich bekam ein Rezept für zehn Sitzungen bei einer Psychologin. Nach wenigen Wochen sagte sie: ,Wir können unsere Gespräche gern fortsetzten, aber an ihrer Bewegungsstörung wird das nichts ändern.
Sie empfahl mir, einen Termin in der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Frankfurt am Main zu vereinbaren, einer der ersten Adressen für neurologische Erkrankungen in Deutschland. Der leitende Oberarzt ließ mich als erstes auf dem Flur auf- und abgehen. Allein an meinem Gangmuster erkannte er, dass ich Parkinson hatte. Eine DAT-Scan-Untersuchung erhärtete die Diagnose.
Das war 2008, kurz vor meinem 40sten Geburtstag. Ich war dabei, meine Party zu planen. Ich war mir so sicher gewesen, dass ich kein Parkinson hatte, sondern etwas, das man heilen konnte. Damals glaubte ich nämlich, Parkinson wäre eine alte-Leute-Krankheit, und zwei Jahre lang hatten Experten diesen Irrglauben mehr oder weniger bestätigt. Heute weiß ich, dass jeder zehnte Patient* jünger als 40 Jahre ist, wenn er die Diagnose erhält. Mich traf meine heftig und völlig unvorbereitet. Parkinson war für mich der Weltuntergang, und ich wusste so gut wie nichts darüber.
Der Arzt nahm sich Zeit, mir zu erklären, was die Krankheit bedeutet. Sie sei kein Todesurteil, und ebenso wenig bewirke sie, dass das Leben, wie es war, enden müsse: ,Machen Sie weiter, bleiben Sie aktiv und lebensbejahend, auch im Beruf.` Damals haben mich seine Worte zwar nicht trösten können, aber im Nachhinein bin ich ihm sehr dankbar dafür. Sie haben den Weg skizziert, den ich bis heute gehe.
Der Arzt riet mir auch, offen mit der Erkrankung umzugehen. Das habe ich getan. Offenheit entspricht meiner Art und ist sicher nicht für jeden Betroffenen das Richtige. Ich habe auch nicht nur gute Erfahrungen damit gemacht. Einige Freunde und Kollegen reagierten betreten, andere regelrecht entsetzt: ,Was, du hast Parkinson, in deinem Alter, das ist ja schrecklich!` Heftige Reaktionen wie diese verunsicherten mich und machten mir Angst. Es war wie bei einem Kind, das stürzt, und erst anfängt zu weinen, weil es sieht, dass die Eltern erschrocken gucken.
Eine bis dahin gute Freundin hat sich zurückgezogen. Wie ich damals auch, war sie über Parkinson nicht aufgeklärt. Sie befürchtete, dass man bald nichts mehr mit mir unternehmen können würde, und dass ich in absehbarer Zeit ein Pflegefall wäre. Sie war Ende 30 und wollte und konnte damit nicht belastet sein. Dafür hatte ich Verständnis.
Letztlich war es ihre und auch meine Unwissenheit, die unsere Freundschaft kostete. Sie und ich, wir sind kein Einzelfall. Darum ist es wichtig, dass auch junge Menschen über Parkinson aufgeklärt werden. Es sollte allgemein bekannt sein, dass es gerade bei Jungerkrankten die Regel ist, weiterhin über sehr lange Zeit glücklich und aktiv zu leben.
Nach der Diagnose habe ich sechs Jahre lang normal weiter gearbeitet. Eine Bewegungsstörung bedeutet nämlich nicht, dass man geistig weniger leistungsfähig oder weniger durchsetzungsstark ist. Allerdings bemerkte ich irgendwann, dass ich nicht mehr so stressresistent bin. Mein Körper verlangte häufiger als früher nach Ruhepausen. Als die Firma verkauft wurde, habe ich die Chance ergriffen und bin aus dem Job ausgestiegen.
Den Gründer der privaten, gemeinnützigen Hilde-Ulrichs-Stiftung für Parkinsonforschung hatte ich nach meiner Diagnose kennengelernt. Die Stiftung fördert wissenschaftliche Studien und ist eine Anlaufstelle für Betroffene und Angehörige. Sie erhalten eine unabhängige Beratung, detaillierte Informationen und auch Erfahrungsberichte. Er bot mir an, die Leitung der Stiftung zu übernehmen.
Um mich für die Aufgabe vorzubereiten, absolvierte ich ein Studium an der Fundraising Akademie in Frankfurt zur Stiftungsmanagerin. Seit nunmehr sieben Jahren arbeite ich erfolgreich daran, die Stiftung bekannter zu machen und ihre Ziele umzusetzen. 2020 wurde ich mit dem Bürgerpreis der Stadt Frankfurt am Main in der Paulskirche für mein ehrenamtliches Engagement gewürdigt. Darüber bin ich sehr glücklich.
Heute, nach 15 Jahren mit Parkinson, lebe ich vielleicht sogar engagierter, bewusster, positiver und auf jeden Fall dankbarer als vorher. Mir ist klar, dass ich im Vergleich mit anderen Betroffenen beruflich wie privat großes Glück habe. Mit meinem Mann war ich zum Zeitpunkt der Diagnose drei Jahre verheiratet. Er hat sofort gesagt: Das ziehen wir zusammen durch. Es hat uns eng zusammengeschweißt, dass er damals ohne zu zögern bedingungslos hinter mir stand. Das macht er bis heute, an guten und weniger guten Tagen.
Die Krankheit betrifft auch meinen Mann. Daher ist es wichtig, dass wir ehrlich über unsere Gefühle sprechen, auch über unsere Ängste: Parkinson ist unheilbar und unberechenbar. Die Symptome können sich jederzeit rapide verschlechtern.
Aber ich sage mir dann immer, dass Angst kein guter Ratgeber ist. Ich will nicht durchs Leben gehen und mich dabei vor der Zukunft fürchten. Ich lasse nicht zu, der Krankheit allzu viel Raum zu geben. Ich bin viel, viel mehr als Parkinson! Es gibt Wichtigeres und Schöneres in meinem Leben, und dafür will ich Platz schaffen!
Parkinson hat natürlich meinen Alltag verändert. Mein Tagesrhythmus ist auf die Medikamente abgestimmt. Nach der Einnahme muss ich zum Beispiel eine gewisse Zeit mit der Mahlzeit warten, und auch was ich essen darf, ist eingeschränkt. Manchmal bin ich dadurch gezwungen, Einladungen und andere Termine kurzfristig zu verschieben.
Ich bin seit Jahren medikamentös stabil eingestellt. Welche Arzneien wann und wie einzunehmen sind, ist sehr komplex und individuell unterschiedlich. Einige Betroffene nehmen fünf, andere 15 und mehr Arzneien pro Tag oder sie müssen nachts den Wecker stellen.
Bei mir ist es so, dass ich durchschlafen kann. Aber, wie fast alle, muss ich feste Zeit einhalten. Reisen durch Zeitzonen, die mein Mann und ich früher oft gemacht haben, sind dadurch kompliziert geworden. Gleich nach der Diagnose flog ich jedes Jahr nach Sri Lanka für eine Ayurveda-Kur. Meine Symptome haben sich danach jedesmal verbessert. Doch Langstreckenflüge erfordern Einiges an Planung, allein wegen des Umsteigens mitten in der Nacht. Man muss unter anderem daran denken, einen Rollstuhl ans Gate bringen zu lassen, da es sein kann, dass man ausgerechnet zur Ankunftszeit nicht in der Lage ist, sich zu bewegen.
Was viele nicht wissen: Die allermeisten Parkinsonmedikamente wirken unmittelbar. Kurz nach dem Einnehmen kann ich mich gut bewegen. Doch nehme ich die Arzneien auch nur eine halbe Stunde zu spät, lässt die Koordination nach und die Muskeln verkrampfen. In einem gewissen Maß kann ich das ausgleichen. Wenn ich zum Beispiel bemerke, dass mein Bein langsamer nachkommt, hilft es mir, ein paar Schritte rückwärts zu laufen, kurz in Trab zu verfallen oder zu hüpfen. Das veränderte Bewegungsmuster bewirkt eine Art Reset-Programm für den Bewegungsapparat, aber leider nur kurzfristig.
Die Reise nach Australien, von der wir früher geträumt haben, ist mir mit Parkinson nicht mehr möglich, die Strapazen wären zu groß. Mein Mann und ich haben aber nicht das Gefühl, dadurch etwas zu verpassen. Wir genießen es, zusammen aktiv zu sein, in der Region zu wandern, gemeinsam zu kochen, im Garten zu sitzen, zu reden und uns über unser Leben zu freuen!
Auch mein Sportprogramm nimmt viel Raum ein. Ich mache jeden Tag Nordic Walking im Wald, ich fahre Rad und spiele hin und wieder Tischtennis. Mittlerweile belegen diverse Studien, dass Bewegung den Verlauf der Krankheit deutlich verlangsamt.
2018, im zehnten Jahr nach meiner Diagnose, bin ich mit einer Freundin 560 Kilometer auf dem Jakobsweg gewandert, 28 Tage lang, von früh morgens bis abends, bei Hitze und Regen. Es war eine großartige Erfahrung, ein so hoch gestecktes Ziel erreichen zu können – und dabei 20 000 Euro Spenden für die Parkinsonforschung sammeln zu können.
Die Wanderung hat mich körperlich und emotional an meine Grenzen gebracht. Während des Gehens gibt es keine anderen Anforderungen, man ist Stunde um Stunde bei sich, bei seinen Bewegungen, Gedanken und Gefühlen. Das Pilgern hat mich dazu gebracht, inne zu halten, und es hat mich näher zu mir selbst geführt, sowohl körperlich als auch emotional.
Der Jakobsweg hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, mich auch einmal ausschließlich mit mir selbst zu beschäftigen und herauszufinden, was mir wirklich gut tut und wie ich mich wirklich fühle. Ich habe bisher keine psychologische Begleitung, wie viele andere Betroffene. Aber ich nutze Entspannungstechniken, Atem- und Meditationsübungen, um mich auszubalancieren.
Ich glaube, es ist wichtig, mit Parkinson Frieden zu schließen, um gut damit zu leben. Das ist ein Prozess. Neben meiner Aufgabe als Vorstandsvorsitzende der Hilde-Ulrichs-Stiftung, leite ich die Arbeitsgruppe Junge Patienten im Team mit fünf weiteren Jungerkrankten beim Parkinsonnetz RheinMain+ (siehe unter: "Weitere Anlaufstellen). Unter anderem wollen wir vermitteln, dass jeder seinen eigenen Weg mit Parkinson finden und gehen muss. Und dass jeder Weg die Chance birgt, Träume und Ziele zu verwirklichen und ein glückliches und aktives Leben zu führen."