Erfahrungsbericht
„Es ist eine Herausforderung, mein Parkinson zu akzeptieren“
„Im August 2020 spürte ich erstmals das Zittern in der rechten Hand. Mehrmals täglich entwickelt sie seither für ein, zwei Stunden ein Eigenleben, auf das ich keinen Einfluss habe. Der Hausarzt vermutete einen gereizten Nerv und schickte mich zum Neurologen. Er dachte direkt an Parkinson, möglicherweise, sagte er. Meine Hoffnung hing allein an diesem kleinen Wort, aber ich fühlte mich trotzdem ziemlich sicher.
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*Aus Gründen der Lesbarkeit verwenden wir die männliche Form, meinen jedoch Menschen aller Geschlechter.
"Ich freue mich über jeden Tag, an dem ich mein normales Leben führen kann."
Foto: wix
Sebastian Müller, 39, Software-Entwickler*, hat seit Oktober 2020 Gewissheit. Er spürt kaum körperlich Symptome. Jedoch, sagt er, die Zukunft sei ungewisser geworden. Beim Kampf gegen Ängste unterstützen ihn auch eine Gesprächsgruppe und bald eine Expertin.
*Die Identität haben wir auf Wunsch verändert.
Seit Oktober 2020 habe ich Gewissheit, doch leider nicht die, auf die ich gehofft hatte. Ich radelte zum Neurologen, um das Ergebnis des DAT-Scan zu besprechen, der Untersuchung, die den Verdacht abklären sollte. Die Praxis liegt bei mir um die Ecke, die Fahrt dauerte keine fünf Minuten. Ich war nicht besonders aufgeregt, vielleicht wie vor einem Zahnarzttermin. Man geht nicht gern hin, aber es wird schon nicht so schlimm werden. Es kann ja nicht sein in meinem Alter, dachte ich wieder einmal, während ich in die Pedale trat. Eine Stimme im Hinterkopf widersprach: Vielleicht hast du es doch? Aber sie war sehr leise.
Im Behandlungsraum saß ich dem Arzt am Schreibtisch gegenüber. Er studierte kurz die Blätter mit dem Befund, blickte auf und sagte direkt, dass er eindeutig sei: ,Leider deutet alles auf Parkinson hin.` Ich bin nicht erschrocken. Seine sachliche Art war mir sehr Recht. Er erklärte mir seinen Therapievorschlag, ich nickte dazu und hatte keine Fragen. Ich nahm Rezepte für die Medikamente entgegen und ein Blatt mit Adressen von Experten* und Anlaufstellen für weitere Meinungen und Informationen. Ich habe damals in der Praxis nicht wirklich begriffen, dass ich Parkinson hatte. Es war surreal, ein wenig vergleichbar mit einem Kinoerlebnis.
Unten auf der Straße vor der Praxis wartete meine beste Freundin. Ich hatte sie im Wartezimmer per SMS benachrichtigt: „Es ist leider Parkinson“. Sie war damals die Einzige, der ich von dem Verdacht und der Untersuchung erzählt hatte. Bis zu jenem Vormittag war ja nichts konkret gewesen, und es ist nicht meine Art, Befürchtungen im großen Kreis zu mitzuteilen. Ich war froh, dass sie besonnen und pragmatisch reagierte: ,Was für ein Mist. Aber das kriegst du hin. Wir lassen dich damit nicht allein.` Wir, damit meinte sie meinen Freundeskreis, meine Eltern und Geschwister. Ich rauchte, während wir schweigend mit den Rädern zu mir schoben.Mein Kopf war leer.
Die ersten paar Tage habe ich den Fakt möglichst verdrängt. Ich habe viel gearbeitet, denn beim Programmieren bleibt kein Raum für Grübeleien. Abends las ich alles, was ich finden konnte, über Krankheitsverläufe und Therapien, dazu Statistiken und Forschungsergebnisse. Mit meiner Freundin, die tagsüber immer mal wieder vorbei schaute, sprach ich über meine Optionen, und darüber, dass ich andere Meinungen einholen würde.
Wir tauschten Fakten und Informationen aus, die wir gesammelt hatten. Nach Stand der Forschungen deutet fast alles darauf hin, dass gerade Jungerkrankte gute Aussichten haben, relativ beschwerdearm alt zu werden. Allerdings gibt es dafür keine Garantie. Es dauerte eine gute Woche, bis Ängste einsetzten: Denn es kann auch sein, dass sich Symptome in kurzer Zeit verschlechtern. Die Krankheit ist nicht berechenbar.
Meine Freunde und meine Familie habe ich nicht aktiv benachrichtigt. Aber wenn jemand anrief, habe ich die Diagnose direkt mitgeteilt. Alle Menschen, die mir wichtig sind, wusste innerhalb von wenigen Tagen Bescheid. Und meine beste Freundin hatte Recht. Niemand hat mich allein gelassen. Alle reagierten mit Mitgefühl und Gelassenheit: ,Das kriegen wir hin. Wir sind für dich da.`
Über die Reaktion meiner Großmutter, die über 90 Jahre alt ist, konnte ich sogar Lächeln: ,Ach Quatsch, du hast kein Parkinson. Das gibt es doch gar nicht bei einem jungen gesunden Mann wie dir. Schau dich doch an!` Bei jedem Telefonat und Besuch bekomme ich das seither zu hören.
Heute, ein gutes halbes Jahr nach der Diagnose, ist mir die Krankheit nicht anzumerken. Das Zittern der Hand tritt noch auf, ist aber nicht stärker geworden, eher weniger. Die Medikamente, die der Neurologe verordnet hatte, habe ich nach wenigen Wochen, nach Rücksprache, abgesetzt. Bei mir kam es zu Nebenwirkungen, was aber nicht passieren muss. Jeder Patient reagiert anders, jeder erhält seine individuelle Therapie und macht damit ganz eigene Erfahrungen.
Ich nehme zur Zeit keine Arzneien. Stattdessen treibe ich viel Sport, und ich habe meine Ernährung umgestellt. Damit erziele ich sehr gute Ergebnisse. Zwei Stunden pro Tag fahre ich Rad, boxe oder mache Aerobic. Und ich esse fast keine Kohlenhydrate mehr, stattdessen viel Fett und Eiweiß. Auch diese sogenannte ketogene Diät nimmt viel Zeit in Anspruch, ein, zwei Stunden pro Tag verbringe ich mit Einkäufen auf Märkten und in Bioläden und mit dem Kochen. Früher bin ich immer essen gegangen oder habe etwas bestellt.
Gut vier Stunden pro Tag widme ich meiner Gesundheit. Das ist wesentlich mehr als vor der Diagnose, und es tut mir gut. Ich fühle mich körperlich fit. Wenn ich ins Grübeln gerate, helfen mir Meditationen und Atemübungen und Gespräche mit meinen Freunden. Die Krankheit schränkt mich bisher in keinem Bereich nennenswert ein. Ich spüre kleine Veränderungen. Meine Feinmotorik verschlechtert sich, meine Handschrift wird zum Beispiel ungelenker. Auch strengt mich langes Autofahren mehr an als früher, und ich werde bei der Arbeit am Rechner schneller müde.
Man könnte sagen, dass sich Parkinson bei mir bisher weniger in Form von körperlichen Beschwerden zeigt, sondern eher in Form von Befürchtungen: Wie lange werde ich noch arbeiten können? Wovon werde ich danach leben? Werde ich eine Familie gründen können? Wie lange bleibt mir, bis ich vielleicht zum Pflegefall werde? Und was dann?
In der Firma weiß bis heute niemand Bescheid. Fast seit Beginn der Corona-Krise, also vor den ersten Symptomen, arbeite ich im Homeoffice. Darum bekommt niemand mit, wann ich am Monitor, beim Arzt oder beim Sport bin, oder wie es mir geht. Und das ist gut so. Die IT-Branche, ist zwar cool und tolerant, aber auch knallhart. Ich befürchte berufliche Nachteile und werde darum solange nichts erzählen, bis Parkinson meinen Job unmöglich macht. Ich warte ab, bis ich einen Schwerbehindertenausweis habe und arbeitsrechtlich geschützt bin.
Vor kurzem habe ich eine umfangreiche Untersuchung durchführen lassen, um weitere Erkrankungen auszuschließen. Wie es aussieht, habe ich die übliche, eher langsam verlaufende Form von Parkinson. Das hat meine Sorgen erst einmal verkleinert. Was mir auch sehr geholfen hat, war der Kontakt zur Hilde-Ulrichs-Stiftung. Ich habe darüber andere Jungerkrankte kennengelernt. Einige leben seit Jahrzehnten mit der Krankheit, stehen noch immer im Beruf und haben ein erfülltes Privatleben. All das von Betroffenen direkt zu erfahren, hat mit Hoffnung gegeben.
Als nächstes plane ich einen Termin bei einer Psychotherapeutin. Ich glaube, dass es mir mit professioneller Unterstützung noch besser gelingen wird, mit Ängsten umzugehen und mein Leben mit der Krankheit zu akzeptieren. Das ist eine Herausforderung für mich. Auch meine Eltern machen sich natürlich Sorgen. Oft bin ich es, der sie beruhigt: „Guckt, es geht mir gut!“ Das stimmt, aber meine Zukunft ist ungewisser geworden. Darum versuche ich, meinen Blick auf die Gegenwart zu richten. Ich freue mich über jeden Tag, an dem ich mein normales Leben führen kann.