Interview
Erste Hilfe
Warum regelmäßige Erste-Hilfe-Kurse lebenswichtig sind
Wie funktioniert die Herz-Druck-Massage? Was tun bei häuslichen Unfällen? Wie reagiert man richtig beim Verdacht auf einen Herzinfarkt oder bei einer seelischen Krise? Das Netzwerk Wiesbaden lernt Erste Hilfe macht es sich seit 2012 zur Aufgabe, möglichst vielen Menschen im Stadtgebiet Wissen zu vermitteln, das Leben retten kann. Kurse, Vorträge und Aktionen zu körperlichen und seelischen Notfallmaßnahmen richten sich an unterschiedliche Gruppen, auch an Schülern: Rund 15 000 haben bisher an Kursen teilgenommen. Wir stellen Gründer, Experten und Angebote vor und informieren über Maßnahmen und Verhalten.
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*Aus Gründen der Lesbarkeit verwenden wir die männliche Form, meinen jedoch Menschen aller Geschlechter.
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„Bei einem Notfall kann man nichts falsch machen“
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Professor Dr. med. Thomas Weber, Vorsitzender und Mitbegründer von „Wiesbaden lernt Erste Hilfe“, ist Internist, Arbeits- und Notfallmediziner.
Er war lange Jahre Direktor des Instituts für Arbeitsmedizin, Prävention und Gesundheitsförderung der Helios Dr. Horst Schmidt Kliniken Wiesbaden, ist Vizepräsident des DRK, Kreisverband Wiesbaden, Mitglied zahlreicher Fach- und Berufsverbände, Gremien und Arbeitskreise, Honorarprofessor der Frankfurt University of Applied Sciences und hat eine Praxis in der Wilhelm Fresenius Klinik Wiesbaden. Adresse und mehr Informationen.
Gesundheitskompass für Wiesbaden: Mein Erste-Hilfe-Kurs liegt Jahrzehnte zurück. Ehrlich gesagt, hätte ich Sorge, eine bewusstlose Person zum Beispiel in die stabile Seitenlage zu drehen, und sie dabei zusätzlich zu gefährden.
Prof. Dr. med. Thomas Weber: Damit sind Sie nicht allein. Vielen Menschen geht es wie Ihnen, leider! Das ist ein Grund, warum wir 2012 Wiesbaden lernt Erste Hilfe gegründet haben. Das Netzwerk soll die Notfallkompetenz möglichst vieler Bürgerinnen und Bürger stärken und so dazu beitragen, Leben zu retten.
Gesundheitskompass: Das Netzwerk bietet unter anderem Erste-Hilfe-Kurse, auch zum Auffrischen an. Ist es denn so, dass die Teilnahme die Angst vertreibt, zusätzlichen Schaden anzurichten?
Prof. Weber: Ja, dazu gibt es sogar Zahlen. Wir haben eine eigene Befragung durchgeführt. Sie zeigt einen eindeutigen direkten Zusammenhang. Je länger ihr Kurs zurück liegt, desto unsicherer fühlen sich Menschen.
Gesundheitskompass: Wie gefährlich ist es für eine bewusstlose Person mit Herzstillstand, wenn ein Ersthelfer einen Fehler macht?
Prof. Weber: Es ist so gut wie nicht möglich, einen gravierenden Fehler zu machen. Mit das Schlimmste, das passieren kann, ist eine gebrochene Rippe durch die Herz-Druck-Massage. Aber verglichen mit dem Tod ist das ein kleines Übel. Das einzig wirklich Gefährliche ist, nichts zu tun oder gar wegzulaufen.
Gesundheitskompass: Was, wenn man vor der Mund-zu-Mund-Beatmung zurückschreckt, etwa aus Angst vor Ansteckung?
Prof. Weber: Die Mund-zu-Mund-Beatmung wird für Laien nicht mehr empfohlen. Die Herz-Druck-Massage ist bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand das Wichtigste und bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes ausreichend. Geschulte und professionelle Helfer und Helferinnen wenden die Herz-Druck-Massage und Beatmung im festen Rhythmus 30 zu 2 an. Wissen Sie noch, wie man prüft, ob ein Herz-Kreislauf-Stillstand vorliegt?
Gesundheitskompass: Ich würde als erstes die 112 rufen und dann den Puls fühlen.
Prof. Weber: Die Notfallnummer anzurufen, ist richtig. Den Puls zu fühlen, ist jedoch keine zuverlässige Maßnahme. Empfohlen wird das Vorgehen nach der Regel ,rufen, prüfen, drücken'. Also den bewusstlosen Menschen ansprechen oder leicht kneifen, um zu sehen, ob er reagiert. Dann prüfen ob er atmet, also ob ein Luftstrom aus Mund oder Nase spürbar ist oder sich der Brustkorb hebt und senkt. Wenn dies nicht der Fall ist, sofort mit der Herzmassage beginnen. Jede Minute die verstreicht, verkleinert die Chance, erfolgreich wiederbelebt zu werden.
Gesundheitskompass: Die Angebote von ,Wiesbaden lernt Erste Hilfe' richten sich nicht nur an Erwachsene, sondern besonders auch an Kinder und Jugendliche. Wie reagieren sie in Notfällen?
Prof. Weber: In den Kursen, die wir an Schulen durchführen, sind sie begeistert und hoch motiviert. Anders als viele Erwachsene, gehen sie bei der Reanimationspuppe kein bisschen zögerlich vor, sondern drücken beherzt zu. Kinder haben außerdem in der Regel noch nicht die Tendenz, Notfälle zu verdrängen. Ihre Offenheit und Unbefangenheit macht sie in den Kursen zu sehr guten Ersthelfern.
Gesundheitskompass: Sie schulen überwiegend Viert- bis Siebtklässler, bisher mehr als 14 000. Haben Kinder in diesem Alter genug Kraft, um im Ernstfall einen Erwachsenen zu reanimieren?
Prof. Weber: Ja, die Kraft reicht aus. Aber ob und wie Kinder in einer echten Notfallsituation reagieren, das können wir nicht wissen. Was wir jedoch beobachten ist, dass sie nach dem Kurs die Eltern motivieren, ihr Wissen aufzufrischen. Fragen wie: ,Was Mama, du weißt nicht mehr wie eine stabile Seitenlage geht?’ hat uns schon einige erwachsene Kursteilnehmer beschert.
Gesundheitskompass: Der Name des Netzwerks lässt an Erste Hilfe am Unfallort und vielleicht noch an Herzstillstand denken. Für welche weiteren Notfälle schulen Sie?
Prof. Weber: Notfälle von Herzinfarkt oder Schlaganfall sind ein wichtiger Bereich. Es gibt auch Aktionen und Vorträge zu Seelischen Notfällen, Notfällen auf Reisen, beim Sport, bei Allergien, bei Verbrennungen, bei Kindern, bei Senioren, im Alltag. Wir decken im Grunde alle Bereiche ab, ausgenommen Notfälle bei Tieren.
Gesundheitskompass: In Zeiten von Corona nehmen seelische Störungen zu. Weiten Sie ihre Angebote dazu aus?
Prof. Weber: Hilfe bei seelischen Notfällen ist ein bisheriger und derzeit intensivierter Schwerpunkt. Wir bieten im Rahmen des Programms Mental Health First Aid Kurse an. MHFA wurde in Australien entwickelt. Es wird in Deutschland vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim weiter verbreitet und in unserem Netzwerk geschult.
Gesundheitskompass: Können Sie MHFA bitte kurz erläutern?
Prof. Weber: Seelische Störungen werden vielfach verdrängt, Leute nehmen sie nicht wahr. Dabei gibt es eine große Zahl seelischer Störungen und jährlich beispielsweise über 9.000 Selbstmorde in Deutschland, über dreimal mehr als Verkehrstote. Teilnehmerinnen und Teilnehmer lernen zunächst, psychische Probleme und Krisen zu erkennen und einzuordnen. In weiteren Schritten, erfahren sie, wie sie unterstützen, gezielt Betroffene zu professioneller Hilfe ermutigen und weitere Ressourcen aktivieren können.
Gesundheitskompass: MHFA-Kurse führen Sie auch an Schulen durch, richtig?
Prof. Weber: Bisher haben wir Lehrerinnen und Lehrer geschult. Seelische Erkrankungen in der Altersgruppe unter 18 Jahren haben seit der Pandemie teils erschreckende Ausmaße angenommen. Allein bei der Wiesbadener Akademie für Psychotherapie WIAP ist in Zeiten der Corona-Pandemie kaum ein Tag vergangen, ohne dass dort ein selbstmordgefährdeter Jugendlicher um Hilfe bat.
Gesundheitskompass: Wie ist es möglich, an zwei Tagen zu lernen, richtig auf Depressionen, Suizidgefahr und Psychosen zu reagieren?
Prof. Weber: Wie bei medizinischer Erster Hilfe auch, wird niemand nach einem Kurs zur Expertin oder zum Experten. Aber es ist möglich, Basiswissen zu bekommen. Neben Verhaltens- und Gesprächsansätzen, ist es gerade bei seelischen Notfällen auch wichtig, Notfalladressen und Anlaufstellen zu kennen. Auch diese stellen wir in unseren Kursen vor.
Gesundheitskompass: Weitere Hilfen im Notfall, die ,Wiesbaden lernt Erste Hilfe' fördert, sind öffentlich zugängliche Defibrillatoren, etwa in Schulen, Sportvereinen und in der Nähe von belebten Plätzen. Sind die Geräte, die das Herz durch einen Stromimpuls wieder geordnet schlagen lassen, wirklich so einfach zu bedienen wie es in Arztserien aussieht?
Prof. Weber: Ja, diese Art von Frühdefibrillatoren ist es tatsächlich. Die sprachgesteuerten Geräte coachen einen sozusagen durch die Diagnose und die Anwendung. Einige Fachleute sagen, dass alle Laien sie bedienen könnten. Besser noch sollten es geschulte Laien sein, also Feuerwehrleute, Polizisten, Ersthelfer in Betrieben oder sonstige Personen, die einen entsprechenden Erste-Hilfe-Kurs gemacht haben.
Gesundheitskompass: Wo in Wiesbaden findet man zum Beispiel einen Defibrillator?
Prof. Weber: Etwa vor der Hauptstelle der Wiesbadener Volksbank am Schillerplatz an der Straße. Inzwischen ist der Defibrillator in deren Filialen auch im Vorraum, zu dem man eine Scheckkarte braucht. Aber auch im Rathaus, in der Staatskanzlei, im Gebäude der Wiesbadener Musik-und Kunstschule, in der Sporthalle Klarenthal.
Gesundheitskompass: Bezahlt ,Wiesbaden lernt Erste Hilfe' die Defibrillatoren?
Prof. Weber: Schulen und Vereine können einen Zuschuss bekommen, und Firmen und Institutionen Geräte über uns günstig beziehen und unsere Schulungen dazu kostenlos erhalten.
Gesundheitskompass: Wieviel kosten Schulungen und andere Kurse, die das Netzwerk anbietet?
Prof. Weber: Alle unsere Aktivitäten sind gratis für Teilnehmende und Besuchende. Eine Ausnahme ist das zweitägige Programm Mental Health First Aid, da kann ein Eigenanteil fällig werden.
Gesundheitskompass: Und wo, außer in Schulen, finden die Angebote statt?
Prof. Weber: Wir sind bei Aktionstagen wie dem Patiententag präsent. Und Kurse und Vorträge finden zum Beispiel auch bei unseren Mitgliedern wie dem DRK Wiesbaden und den Johannitern statt. Und Vereine, Firmen, Institutionen und Schulen können sich an uns wenden, wenn sie ein Angebot vor Ort haben wollen.
Gesundheitskompass: Professor Weber, vielen Dank für das Gespräch!
Seit 2012 macht das Netzwerk Bürger fit für körperliche und seelische Notfälle.
Kurse zu Erster Hilfe am Unfallort sind nur ein Teil des vielfältigen Angebots von Wiesbaden lernt Erste Hilfe. Expert*innen des Netzwerks vermitteln darüber hinaus Basiswissen für medizinische und seelische Notfälle vieler Art: „Wir informieren, schulen, motivieren und vernetzen und wollen dabei möglichst viele Menschen erreichen“, sagt Professor Dr. Thomas Weber, Facharzt für Innere Medizin und Arbeitsmedizin. Er ist mit Stefan Schröder, ehemaliger Chefredakteur des Wiesbadener Kuriers, Gründer des Netzwerks, dem auch zahlreiche öffentlich zugängliche Frühdefibrillatoren im Stadtgebiet zu verdanken sind: „Wir fördern das Aufstellen und führen Schulungen durch.“
Die meisten Aktionen und Kurse sind für Teilnehmende kostenlos. Bei den zweitägigen Kursen für seelische Notfälle „Mental Health First Aid“ wird ein Eigenanteil erhoben. „Wiesbaden lernt Erste Hilfe“ finanziert sich durch Sponsoren, darunter die Landeshauptstadt, die Wiesbadener Volksbank, der Lions Club, Rotary Club, Boehringer Ingelheim, Abbott.
Kontakt: ausbildungszentrum(at)drk-wiesbaden.de
Spenden über Stiftung Gesundheitsstadt Wiesbaden oder über die Benefizaktion Ihnen leuchtet ein Licht, Kennwort: Ihnen Leuchtet ein Licht, Wiesbaden lernt Erste Hilfe.