top of page

Q&A

Digitale Pflegeanwendungen

Was sind digitale Pflegeanwendungen?

ca. 5 Minuten

*Aus Gründen der Lesbarkeit verwenden wir die männliche Form, meinen jedoch Menschen aller Geschlechter.

Image by Stephen Andrews
Digitale Pflegeanwendungen (DiPA) entlasten Betroffene, Angehörige und Pflegeanbieter. Wir informieren über DiPa-Apps, -Sites und Kosten, die von Pflegekassen erstattet werden können.

„DiPAs entlasten Pflegebedürftige und das System“

Gesundheitskompass für Wiesbaden: DiPAs sind Apps oder Webanwendungen, die Menschen in ihrem Pflegealltag unterstützen. Was bedeutet das konkret?
Gülşen Heinrich: Unser Produkt bietet zum Beispiel Übungsreihen, die helfen, die  körperliche und geistige Mobilität zu erhalten oder zu verbessern. Der  pflegerische Nutzen spielt dabei eine große Rolle und ist nachgewiesen  worden. Denkbar sind auch DiPAs, die auf bestimmte Gruppen zugeschnitten  sind, etwa auf Menschen nach einem Schlaganfall. Eine entsprechende  DiPA könnte zum Beispiel Lernvideos enthalten, die zeigen, wie man sich  einhändig waschen, anziehen und sich mit einer halbseitigen Lähmung  bewegen können.
GfW: Wer hat die Übungsreihen für Ihre Mobiliäts-DiPA entwickelt?
G.H.: HerzBegleiter  hat mit Therapeuten, Trainern, Yogalehrern, Coaches und anderen  Experten zusammengearbeitet. Bisher haben wir 100 dieser Mitmachkurse  als Video selbst konzipiert, mit Filmemachern produziert, und zwar  gegliedert nach Übungsreihen im Sitzen, Liegen, Stehen. Neben  körperlichen Übungen mit pflegerischen Nutzen bietet unsere DiPA auch 15  Kurse für die geistige Beweglichkeit und für das emotionale  Gleichgewicht.
GfW: In der Art von Denksport und Meditationen?
G.H.: Ja,  damit lässt es sich vergleichen. Beim emotionalen Gleichgewicht geht um  Achtsamkeit, um die glücklichen Momente, die jeder Tag bringt. Es ist  nicht einfach, pflegebedürftig zu sein und positiv und offen zu bleiben.  Unsere DiPA zeigt Wege auf, wie das gelingen kann.

GfW: Videos und Apps zu Meditationen und Gymnastik findet man zahlreich im  Netz. Wie unterscheiden sich diese Lifestyle-Angebote von einer DiPA?

G.H.: DiPAs  können, wie unsere App ist, CE-zertifizierte Medizinprodukte sein.  Damit erfüllen sie geltende Landes- und EU-Verordnungen zum Datenschutz,  zur Datensicherheit, und sie sind gemäß der Medical Device Regulation  (MDR), der Medizinprodukteverordnung, geprüft und in Risikoklasse I  eingestuft. DiPAs sind wegen der Anforderungen an den pflegerischen  Nutzen keine Lifestyle-Angebote.
GfW: Sind DiPAs also nicht verschreibungspflichtig?
GH: Richtig.  Anders als bei einer DiGA, einer digitalen Gesundheitsanwendung auf  Rezept, bleiben Ärzte und Ärztinnen bei DiPAs sozusagen außen vor. Die  Menschen können sich digitale Pflegeanwendungen auf eigene Initiative  oder auf Empfehlung von Pflegeberatern, Pflegediensten, oder  Pflegekassen nutzbar machen.
GfW: Wo findet man DiPAs und wie bekommt man sie?
G.H.: DiPA-Apps und Webanwendungen kann man entweder auf der Seite der  jeweiligen Hersteller herunterladen oder in den App-Stores für Apple-  und Android-Geräte. Geplant ist ein digitales Verzeichnis auf der Seite  des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wie es  bereits für DiGAs existiert. Für DiPAs ist damit jedoch frühestens im  Sommer 2022 zu rechnen.
GfW: Die DiPA-Apps sind in der REgel erst einmal kostenlos? Doch um sie  nutzen zu können, muss man sie kostenpflichtig freischalten. Wie geht  das?
G.H.: Wenn man einen Pflegegrad hat, läuft das über die Pflegekassen. Man  füllt ein Online-Formular aus, das sich in der App oder auf der Seite  des Anbieters findet, und versendet diesen Antrag auf  Nutzungsgenehmigung an die Pflegekasse. Dann bekommt man einen  Schlüssel-Code als Genehmigung zugeschickt, den man einmalig eingeben  muss, und das war es schon! Beim Ausfüllen, Einreichen und Code-Eingeben  sind wir für unsere DIPA auf Wunsch gern behilflich.
GfW: Hat man einen Pflegegrad, übernehmen die Pflegekassen die Kosten für  DiPAs, bis zu 50 Euro pro Monat. Wird dabei geprüft, ob die Anwendung  für den Antragsteller wirklich sinnvoll ist.
G.H.: Nein, so eine Überprüfung ist nicht vorgesehen. Pflegebedürftige können  DIPAs nach eigenem Ermessen auswählen und nutzen. Es soll  möglicherweise eine Bestätigung der Sinnhaftigkeit durch Pflegeberater  geben, was aber noch nicht abschließend geregelt ist.
GfW: Können Menschen ohne Pflegegrad DiPAs kaufen?
G.H.: Ja.  Sie müssen dann natürlich keinen Antrag stellen, sondern wir als  Hersteller schalten die Anwendung frei. Die Kosten für unsere DiPA  betragen 50 Euro pro Monat, und zwar für Pflegekassen wie für  Selbstzahler.
GfW: Wie lange bezahlen die Pflegekassen eine DiPA?
G.H.:  Die Nutzungsdauer ist nicht befristet, da auch kein medizinisches  Therapieziel erreicht werden soll. Sollten Pflegebedürftige jedoch  feststellen, dass Ihnen die DiPA nichts bringt, können sie diese  natürlich auch wieder abbestellen.
GfW: Was wirkt, hat Nebenwirkungen. Sollte man darum lieber einen Arzt befragen, ob eine DiPA persönlich in Frage kommt?
G.H.: Einen Arzt zu konsultieren, ist immer empfehlenswert. Allerdings kennen  sich bislang wenig Ärzte mit DiPAs aus, denn digitale Produkte sind  noch neu. Wer sich für DiPAs interessiert, kann das Thema bei einer  Pflegeberatung ansprechen. Auch dazu bieten wir Termine an, die für  Menschen mit Pflegegrad und für Pflegende von den Pflegekassen bezahlt  werden.
GfW: Wieviele DiPAs gibt es bisher?
G.H.: Das für das Zertifizierungsverfahren zuständige Bundesinstitut für  Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist aktuell überlastet. Viele  Zulassungsverfahren sind darum noch nicht abgeschlossen. Auch ist die  sogenannte Durchführungsverordnung noch nicht fertig, die unter anderem  die Kostenübernahme durch die Pflegekassen regelt. Bisher sind wir der  einzige Hersteller, der bereits auf dem Markt ist und formal die  gesetzlichen Anforderungen erfüllt. Aber bis zum Sommer wird sich  einiges tun.
GfW: Das heißt, Sie treten bisher bei den Pflegekassen in Vorleistung.
G.H.: Ja genau. Unseren Kunden entsteht dadurch jedoch kein Nachteil. Sie  brauchen auch nicht zu befürchten, dass sie eventuell etwas nachzahlen  müssen. Das Recht auf Nutzung einer DiPA haben sie bereits heute, und  wir setzen das Gesetz um. Von staatlicher Seite aus gibt es eher  zögerliches Abwarten.
GfW: Wer  hat einen aktuellen Überblick über DiPAs, die auf dem Markt sein  werden, bevor es das zentrale Verzeichnis beim Bundesinstituts für  Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gibt?
G.H.: Bis zum Sommer kann man sich mit dieser und anderen allgemeinen Fragen zu DiPA am besten an die Pflegekasse wenden.
GfW: Welches Gerät braucht man für eine DiPA, reicht ein Handy?
G.H.: Genau,  wenn es internetfähig ist. Wir empfehlen aber ein Tablet, einen Laptop  oder PC, also Geräte mit einem größeren Bildschirm. Damit sind DiPAs  leichter und komfortabler zu nutzen.
GfW: Die digitale Pflegeanwendung funktioniert aber auch ohne Internet, oder?
G.H.: Bei  unserer DiPA brauchen Sie das Internet nur, um die App zu installieren  und sie einmalig freizuschalten. Unsere Clips laufen auch offline. Das  vereinfacht die Nutzung für die Kunden.
GfW: Darf man die digitalen Anwendungen offiziell teilen, also die Übungen vor dem Bildschirm gemeinsam mit anderen Menschen machen?
G.H.: Ja,  das ist erlaubt und oft sogar sinnvoll! Das Recht auf DiPA-Nutzung  haben zwar ausdrücklich nur die Pflegebedürftigen, aber in vielen Fällen  sind auch die pflegenden Angehörigen nicht mehr jung und deshalb in  ihrer Beweglichkeit eingeschränkt. Sie sind herzlich eingeladen,  mitzumachen, um eigener Pflegebedürftigkeit vorzubeugen. Mobilität ist  Lebensqualität!
GfW: Der pflegerische Nutzen erhöht sich ja vielleicht sogar, wenn man in einer Gruppe übt.
G.H.: Richtig! Weder Gesetzgeber noch Hersteller haben etwas gegen private  DiPA-Treffen einzuwenden. Gemeinsam aktiv zu sein, kann Pflegebedürftige  motivieren und ihnen Freude bereiten. Beides hat durchaus auch einen  pflegerischen Nutzen. Und es bietet sich eine wunderbare Möglichkeit,  gegen Einsamkeit etwas Sinnvolles zu tun.
GfW: Wie hoch ist das Risiko, dass sich die Mobilität durch Ihre DiPA verschlechtert, etwa durch eine Verletzung?
G.H.: Bei einem Medizinprodukt der Risikoklasse eins ist das Risiko sehr  gering. Unsere Übungsreihen sind so ausgelegt, dass Verletzungen nahezu  unmöglich sind. Natürlich lässt es sich nicht völlig ausschließen, dass  jemand mit dem Fuß umknickt oder vom Stuhl rutscht. Aber jede  Alltagssituation hält minimale Risiken bereit. 
GfW: Der  Gesetzgeber hat ein Interesse daran, Pflegebedürftigen den Alltag zu  erleichtern, auch, damit sie länger zuhause wohnen und länger in einem  niedrigen Pflegegrad bleiben können.
G.H.: Genau,  das sind auch die gesellschaftlichen Ansprüche an DiPAs. Sie tragen zur  Entlastung der Gesundheits- und Pflegehaushalte bei. In Zukunft wird  diese Ressourcen-Orientierung noch wichtiger werden. Heute leben 4,5  Millionen pflegebedürftige Menschen in Deutschland, 3,6 Millionen werden  zuhause versorgt. Nach Hochrechnungen werden 2030 bereits mehr als 6  Millionen Menschen auf Pflege angewiesen sein. Je weniger in ein Heim  müssen, desto besser für die Menschen und für die Pflegekosten.

GfW: Frau Heinrich, vielen Dank für das Gespräch!

interviewpartner-mymedAQ-Reinhard Claus.jpg

Foto: Herzbegleiter

Seit Januar 2022 haben Menschen mit einem Pflegegrad das gesetzlich verankerte Recht auf Nutzung von Digitalen Pflegeanwendungen (DiPAs). Ein Pionier der Anbieter ist die digitale Pflegeplattform HerzBegleiter. Mitbegründerin Gülşen Heinrich (Foto, mit Mitbegründer Thomas Heinrich) erklärt, wie DiPAs funktionieren, wem sie nutzen und was es zu beachten gibt.

interviewpartner-Dr-Susanne-Springborn_e

Platzhalter

Mehr Informationen zu DiPAs

Über Ansprüche für Menschen mit Pflegegrad informiert das Bundesgesundheitsministerium
Allgemeines und gesetzliche Grundlagen finden sich auf dem Portal zu den Themen Wohnen und Leben im Alter in Deutschland www.pflege.de 
Beim  Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung e.V. (SVDGV) gibt es ein ein Positionspapier zur DiPA
Der SVDGV bietet außerdem ein Verzeichnis der Produkte seiner  Mitglieder, darunter auch Angebote für pflegende Angehörige und für die  stationäre Pflege, die bisher nicht unter die DiPA-Gesetzgebung fallen,  auf der Seite Digital versorgt

Über HerzBegleiter
​​​​​​​2021  haben Gülşen und Thomas Heinrich das Unternehmen HerzBegleiter gegründet  und die weltweit erste digitale Pflegeplattform Smart Care Assistant  marktreif entwickelt. Seit 2022 ist die erste zertifizierte DiPA von  HerzBegleiter auf dem Markt. Gülşen Heinrich ist gelernte  Krankenschwester und hat lange Jahre als Pflegedienstleitung und  Pflege-Unternehmerin gearbeitet.Thomas Heinrich ist Betriebswirt, war  fast 30 Jahre lang Manager bei Privaten und öffentlichen  Pflegeanbietern. Er leitete u.a. ein Forschungsprojekt KI in der Pflege  im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Mehr  Informationen zu HerzBegleiter.

bottom of page