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Interview

Wechseljahre

Schluss mit Regeln

ca. 9 Minuten

*Aus Gründen der Lesbarkeit verwenden wir die männliche Form, meinen jedoch Menschen aller Geschlechter.

Mädchen auf den Gebieten
Hitzewallungen, Blasenschwäche, Trockenheit der Scheide, Vergesslichkeit, depressive Verstimmungen: Ein Drittel der Frauen leiden erheblich unter dem Klimakterium, den Wechseljahren. Dr. Christopher Wolf, Chefarzt der Frauenklinik an der Asklepios Paulinen Klinik in Wiesbaden, erklärt, welche Therapien zur Verfügung stehen, wie Frauen sich selbst helfen können – und welche Rolle eine positive Haltung spielt.

„Die Wechseljahre sind keine Krankheit, sondern eine Zeit des Wandels, der das Leben bereichern kann.“

Gesundheitskompass für Wiesbaden: Die meisten Frauen erleben mit Anfang 50 die letzte Regelblutung, die Menopause. Woher weiß man, dass es die letze ist?
Dr. med Christopher Wolf: Das weiß man erst im Nachhinein. Wenn man zwölf Monate danach keine  Tage mehr bekommen hat, war es die Menopause. Erst dann können Frauen  nicht mehr auf natürlichem Weg schwanger werden.

Gesundheitskompass: Wie lange vor der Menopause beginnen die Wechseljahre und wann enden sie?
Dr. Wolf: Der  Prozess kann sieben, acht Jahre und länger dauern. Er beginnt mit der  Prämenopause, die im Normalfall mit Anfang 40 eintritt. Es folgen die  Perimenopause, also die Phase der letzen Blutung, und die Postmenopause.  Beginn und Dauer der Phasen und die Art und Stärke der Beschwerden sind  sehr individuell. Ein Hormonspiegel, den der Arzt macht, kann anzeigen,  in welchem Stadium man sich befindet.

Gesundheitskompass: Können Sie bitte typische Anzeichen beschreiben?
Dr. Wolf:  In der Prämenopause können sich die Zyklusdauer und die Stärke der  Blutung verändern. Die Haut kann empfindlicher, das Haar dünner werden,  und es kann bereits vaginale Trockenheit auftreten. In der Peri- und  Postmenopause kann es dazu vermehrt zu den bekannten Beschwerden kommen.

Gesundheitskompass: Hitzewallungen, Harnweginfektionen, Trockenheit der Scheide, Vergesslichkeit, Schlafprobleme …
Dr. Wolf: Ja. Auch psychische Symptome können auftreten wie depressive  Verstimmungen und Ängste. Wie gesagt, sowohl das Eintrittsalter als auch  die Beschwerden sind sehr individuell.

Gesundheitskompass: Wovon hängen die beiden Faktoren ab?
Dr. Wolf: Dazu gibt es bisher keine eindeutigen Studien. Vieles deutet  darauf hin, dass Gene eine Rolle spielen, ebenso kann sich der  Lebensstil auswirken.

Gesundheitskompass: Wer sich viel bewegt und gesund isst, kommt später in die Wechseljahre und hat weniger Probleme?
Dr. Wolf: Gesunde  Ernährung und Sport können sich sicherlich günstig auswirken, sind aber  keine Garantie für ein spätes oder beschwerdefreies Klimakterium.  Nachgewiesen ist allerdings, dass bei Raucherinnen das Klimakterium rund  anderthalb Jahre früher beginnt. Ob es schwieriger verläuft, lässt sich  nicht sagen, dazu gibt es keine abschließenden Studien.

Gesundheitskompass: Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Einritt der letzten und der ersten Regelblutung?

Dr. Wolf: Nein, mir ist keine Studie bekannt, die auf einen Zusammenhang zwischen Pubertät und Wechseljahre hindeutet.

Gesundheitskompass: Gibt es Zahlen, wie viele Frauen insgesamt stark unter Wechseljahrbeschwerden leiden?
Dr. Wolf: Etwa ein Drittel der Frauen bemerken nichts oder fast nichts, ein  Drittel so wenig, dass sie keine ärztliche Hilfe suchen, und ein Drittel  leidet erheblich. Diese Frauen sehe ich in der Praxis.

Gesundheitskompass: Welches sind häufige Probleme, mit denen sie zu ihnen kommen?
Dr. Wolf: Da  ich auf Urogynäkologie spezialisiert bin, sehe ich viele Patientinnen  mit Harn- und Dranginkontinenz, mit Harnweginfektionen, aber auch mit  Hitzewallungen und vaginaler Trockenheit. Frauen mit psychischen  Symptomen wie depressiven Verstimmungen und Angststörungen, die  ebenfalls verbreitet sind, behandele ich eher selten. Als Gynäkologe bin  ich zwar auch dafür der richtige Ansprechpartner. Viele Frauen wenden  sich jedoch direkt an spezialisierte Therapeuten und Psychologen.

Gesundheitskompass: Während der rund zehnjährigen Wechseljahre werden erst Progesteron,  danach Östrogen vergleichsweise rapide weniger, während die  Testosteronmenge langsamer absinkt. Dieser veränderte Hormonmix ist die  Ursache der vielfältigen Beschwerden. Lässt sich daraus schließen, dass  sie verschwinden, wenn man den Pegel erhöht?
Dr. Wolf: Ja.  Ersatzhormone nach dem Gießkannenprinzip zu verabreichen, war die  erfolgreiche Wunderwaffe bis 2002. Damals wurde eine Studie  veröffentlicht, die einen Zusammenhang zwischen bioidentischen, also  künstlichen Hormonen und dem Entstehen bestimmter Krebsarten aufzeigt,  darunter Brust- und Eierstockkrebs. Daraufhin hat man die  Hormonersatztherapie fast vollständig verbannt.

Gesundheitskompass: Und heute erlebt sie ein Comeback? 
Dr. Wolf: In der Form wie damals wird sie so gut wie nicht mehr eingesetzt. Seit  2012 ist man stattdessen zu individuell angepassten, möglichst niedrig  dosierten Hormonersatztherapieformen übergegangen. Dabei gilt es, die  Risiken und die Stärke der Beschwerden abzuwägen.

Gesundheitskompass: Raten Sie dazu, zunächst sanfte Methoden auszuprobieren wie Meditation, Yoga, viel Bewegung, gesunde Ernährung, Psychotherapie?
Dr. Wolf: Sicherlich. Man muss sich klarmachen, dass die Wechseljahre keine  Krankheit sind, sondern ein Wandel. Wem es gelingt, positive Aspekte zu  erkennen, dem kann es allein dadurch seelisch und auch körperlich besser  gehen. Man muss die Wechseljahre ganzheitlich betrachten. An diesem  Punkt setzen auch die modernen Therapien an, die eine Alternative zur  Hormonersatztherapie bieten.

Gesundheitskompass: Wie sehen die ganzheitlichen Therapien aus?
Dr. Wolf: Die erwähnten sanften Methoden und Psychotherapie werden zum Beispiel  mit Phytotherapie ergänzt. Sie basiert auf Wirkstoffen von Heilkräutern  wie Johanniskraut oder Traubensilberkerzen. Auch lokale  Hormonanwendungen wie Vaginalsalben zeigen gute Erfolge. Diese  individuell zugeschnittenen Behandlungen kommen auch für Frauen in  Frage, bei denen eine Hormonersatztherapie aus medizinischen Gründen  generell nicht geeignet ist, darunter Frauen, die Brust- und  Eierstockkrebs hatten.

Gesundheitskompass: Einige  Frauen schwören auf Phyto-Östrogene, Stoffe, die in Soja,  Hülsenfrüchten, Kürbiskernen, Vollkornprodukten und anderen  Lebensmitteln enthalten sind und ähnlich wie körpereigene Hormone  wirken. Was halten Sie davon?
Dr. Wolf: Prinzipell  können betroffene Frauen das versuchen. Insgesamt spricht nichts gegen  entsprechende Nahrungsergänzungen und Essgewohnheiten, wenn sie zu  keiner einseitigen Ernährung führen. Meiner Meinung nach wirken sich  allein die Einstellung und die Überzeugung, selbst etwas beeinflussen zu  können, positiv aus.

Gesundheitskompass: Theoretisch kann man bis zu einem Jahr nach der letzten Blutung schwanger werden. Man muss also auch mit Anfang 50 verhüten?
Dr. Wolf: Ja. Zwar wird die Wahrscheinlichkeit zu empfangen mit steigendem Alter  kleiner, aber sie besteht. Meine bislang älteste Schwangere war 53 Jahre  und hat ein gesundes Überraschungsbaby zur Welt gebracht. Mit  entsprechenden Hormongaben können Frauen theoretisch bis ins  Greisenalter schwanger werden.

Gesundheitskompass: Einige  Ärzte setzen darauf, das Klimakterium gänzlich zu verhindern, indem sie  mit Ersatzhormonen nicht nur Beschwerden minimieren, sondern den Pegel  der fruchtbaren Jahre simulieren und erhalten.
Dr. Wolf: Davon halte ich nichts. Das ist, als würde man den Eintritt der  Pubertät verhindern, um ein Leben lang ein Kind zu bleiben. Unsere  Lebensphasen werden ja nicht allein durch unseren  Hormonstatus  bestimmt. Wir alle machen eine natürliche, ganzheitliche Entwicklung  durch. Sie zu unterbrechen, nimmt uns Möglichkeiten, das Leben  auszuschöpfen. Außerdem lässt sich das Altern nicht aufhalten. Wir haben  keine andere Wahl, als es zu akzeptieren.

Gesundheitskompass: Sind Sie froh, dass Ihnen als Mann das Klimakterium erspart bleibt?
Dr. Wolf: Männer erleben tatsächlich keine Wechseljahre, das ist inzwischen  erwiesen. Ihr Übergang in die neue, inzwischen längste Lebensphase, das  Senium, vollzieht sich ohne harten Einschnitt. Der Wandel beginnt früh,  mit Anfang, Mitte 30, wenn der Testosteronspiegel beginnt abzusinken.  Das unmerkliche Hinübergleiten ins Senium ohne Hitzewallungen und  Stimmungsschwankungen hat vielleicht Vorteile, aber auch Nachteile.

Gesundheitskompass: Welche Nachteile?
Dr. Wolf: Frauen  erleben mit der Menopause und den Wechseljahren einen Sprung. Er kann  zwar Angst und Probleme machen, aber er ist auch eine spannende  Herausforderung. Ist sie gemeistert, wird man mit einem frischen und  ehrlichen Blick auf das Leben und auf sich selbst belohnt. Das ist ein  Geschenk der Biologie, das Männer in der Form nicht bekommen. Für sie  kann es darum schwieriger sein, in der neuen Lebensphase anzukommen und  sie zu akzeptieren.

Gesundheitskompass: Und  in der Folge versuchen sie häufiger als Frauen, in der alten Phase zu  verharren, indem sie Sportflitzer kaufen und  jugendliche Geliebte  suchen?
Dr. Wolf: Möglicherweise  erleichtert es der Cut, das Alter im positiven Sinn anzunehmen, und  vielleicht trägt er dazu bei, einige Entscheidungen nicht zu treffen,  die man im Nachhinein vielleicht bereut.

Gesundheitskompass: Wie lange nach der Menopause bleiben Wechseljahrsbeschwerden bestehen?
Dr. Wolf: Da muss man unterscheiden. Beschwerden im eigentlichen Sinne haben  Frauen meist mit Ende 50, Anfang 60 hinter sich. Aber einige  Veränderungen bleiben. Die Scheide wird zum Beispiel nie mehr so feucht  sein wie mit 30.

Gesundheitskompass: Das heißt, Frauen müssen damit leben, dass Sex ab 60 problematischer wird?
Dr. Wolf: Nein,  aber er wird sich verändern. Wie, auch das ist individuell sehr  verschieden. Einige Frauen brauchen vielleicht Salben und Gleitmittel,  andere mehr Zeit und weniger Akrobatik. Einige Frauen sind entspannter  und können Sex mehr genießen, weil die Sorge entfällt, ungewollt  schwanger zu werden, oder weil sie ein besseres Selbstbild entwickelt  haben.

Gesundheitskompass: Einige Frauen lassen vaginale Trockenheit mit Lasern therapieren. Was halten Sie davon?
Dr. Wolf: Bei der lokalen Östrogenisierung durch Laser wird die Haut in der  Vagina mit mikroskopischen Verletzungen gereizt, damit sie sich  erneuert. Das wirkt sehr gut. Der Effekt hält etwa sechs Monate an. Der  Heilungsprozess der Haut kann jedoch nur einmal auf diese Weise angeregt  werden. Die Laserbehandlung lässt sich also nicht erfolgreich  wiederholen.

Gesundheitskompass: Stimmt es, dass regelmäßiger Geschlechtsverkehr eine ähnliche Wirkung hat wie die Laserbehandlung?
Dr. Wolf: Ja.  Frauen, die regelmäßig vaginalen Sex haben, erleben seltener vaginale  Trockenheit. Aber auch das ist individuell unterschiedlich und hilft  nicht jeder Frau.

Gesundheitskompass: Gilt für jede Frau, dass es schwieriger wird, das Gewicht zu halten?
Dr. Wolf: Nein.  Die Gewichtszunahme liegt nicht in erster Linie an den hormonellen  Veränderungen, sondern am Grundumsatz, also dem Kalorienbedarf, der im  Alter sinkt. Es ist darum nicht ungewöhnlich, dass der Appetit eher  abnimmt und man hin und wieder eine Mahlzeit auslässt.

Gesundheitskompass: Sollten Frauen in und nach den Wechseljahren die Ernährung und Bewegungsgewohnheiten umstellen?
Dr. Wolf: Nicht  generell. Wer sich vorher gesund ernährt und sich ausreichend bewegt  hat, muss nichts umstellen. Alle profitieren jedoch davon, auf den  Calciumhaushalt zu achten und sich vermehrt an der frischen Luft zu  bewegen, damit sich Vitamin D bildet. Die Knochendichte nimmt im Alter  nämlich ab und mit Calcium und Vitamin D lässt sich dem gegensteuern.

Gesundheitskompass: Sind Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll?
Dr. Wolf: Ich empfehle generell, sie nicht auf Verdacht, sondern nur nach Rücksprache mit dem Arzt zu verwenden.

Gesundheitskompass: Man muss sich nach den Wechseljahren mit einigen Veränderungen einfach abfinden?
Dr. Wolf: Ich würde eher sagen, sich anfreunden und das Beste daraus machen. Die  Wechseljahre läuten den längsten Lebensabschnitt ein. Solange man gesund  ist, haben Frauen wie Männer die Chance, bereichernde Erfahrungen zu  machen und die Welt und sich selbst neu kennenzulernen.

Gesundheitskompass: Sehr geehrter Herr Dr. Wolf, vielen Dank für das Gespräch!

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Foto:Asklepios Paulinen Klinik Wiesbaden

Dr. Christopher Wolf ist Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und befürwortet die  natürliche und familienorientierten Geburtshilfe. Seit September 2021  leitet er die Frauenklinik der Asklepios Paulinen Klinik Wiesbaden. Er  hat Zusatzqualifikationen in „Ultraschall Diagnostik", „Mikroinvasiver  Chirurgie“, „Urogynäkologie“ und den Schwerpunkt „Gynäkologische  Onkologie“.  Er ist zudem Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher  Gesellschaften aus den Bereichen Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Weitere Informationen zur Person und zur Frauenklinik der Asklepios Paulinen Klinik Wiesbaden.

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Adressen & Informationen

Frauengesundheitszentrum SIRONA e.V.
Seit mehr als 25 Jahren hilft der Wiesbadener Verein Frauen, körperlich und seelisch gesund zu werden oder zu bleiben.

Frauenärzte im Netz
Die Seite des Berufsverbands der Frauenärzte (BVF) informiert in  Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und  Geburtshilfe e.V. (GG) ausführlich über Menopause und Wechseljahre.

Frauengesundheitsportal
Die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (BZgA) stellt gut verständliche Informationen zu Verfügung.

Deutsche Menopause Gesellschaft e.V. (DMG e.V.)
Mitglieder sind rund 3000 Experten auf dem Gebiet der gynäkologischen  Endokrinologie. Der Verein bietet ein Forum für Ärzte und Patientinnen.  Unter anderem finden sich auf der Site Interviews und Adressen von  Selbsthilfegruppen.

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