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Erfahrungsbericht

Parkinson ist nicht ansteckend – PingPongParkinson schon

Bewegung, Gemeinschaft und Spaß können heilsam sein.

ca. 5 Minuten

*Aus Gründen der Lesbarkeit verwenden wir die männliche Form, meinen jedoch Menschen aller Geschlechter.

Mädchen auf den Gebieten
Bei der Diagnose im Februar 2013 war ich erst 38 Jahre alt, und unsere Söhne waren klein, sechs und neun. Sie haben damals gar nicht begriffen, was das heißt: Papa hat Parkinson. Meine Frau und ich haben einen Abend lang geweint, und danach ging das Leben weiter wie bisher. Sie hat halbtags gearbeitet, ich ganztags als Jurist in einem mittelständischen Betrieb nahe unserer Heimatstadt Nordhorn. In meiner Freizeit bin ich weiterhin zum Tischtennistraining gegangen. Der Sport und das Vereinsleben spielen seit meinem zehnten Lebensjahr wichtige Rollen für mich. Und heute sind sie wichtiger denn je.

​„Tischtennis ist Therapie mit Vergnügen“

Mein  Parkinson hat sich beim Tischtennistraining angekündigt, zwei Jahre vor  der Diagnose 2013, das kann ich im Nachhinein so sagen. Die Leistungen  aller Spieler werden mit einem Kurvendiagramm dokumentiert, so auch  meine und die meines Sportkumpels. Unsere Linien verliefen über Jahre  fast synchron, wir wurden beide kontinuierlich besser. Ganz plötzlich im  Frühjahr 2011 begann seine Kurve, weiter nach oben zu klettern, während  meine steil abfiel. Damals dachte ich, es sei ein Formtief, aber so  recht erklären konnte ich es mir nicht.
2012 bekam ich Nackenschmerzen. Nach acht Massagen sind sie nicht besser  geworden und mein Therapeut sagte: ,Ich bin ziemlich sicher, dass du  Parkinson hast.` Meine Reaktion war: ,Und ich bin ziemlich sicher, dass  du eine Macke hast.` Ein paar Wochen später haben der Neurologe und ein  Radiologe seinen Verdacht bestätigt. 
Ich habe die Krankheit gut sechs Jahre lang ignoriert. Klar, ich habe  Medikamente bekommen. Aber ich habe sie oft nach Gefühl eingenommen,  wenn ich Symptome spürte, Unbeweglichkeit, Müdigkeit. Tremor zählt tritt  bei mir bis heute nur selten auf.

Durchweg  alle, die bei uns spielen, machen die Erfahrung, dass sich Symptome  schon nach kurzer Zeit deutlich bessern. Und viele können ihre  Medikation reduzieren. Inzwischen findet Tischtennis bei fast  ausnahmslos allen Parkinsonexperten Anerkennung. Der Sport ist sogar in  der Parkinsonkomplextherpie im Einsatz, zum Beispiel an der Klinik in  Osnabrück, wo ich behandelt werde.
Es gibt kleinere Studien aus Japan und Schweden, die die positiven  Auswirkungen wissenschaftlich belegen. Sprechen, Schreiben, Ankleiden,  Aufstehen aus dem Bett, dem Auto oder einem tiefen Stuhl, Gehen und die  Balance halten, alles fällt leichter. Man sabbert weniger, spricht  lauter, zittert weniger. Die Mimik wird lebendiger, die Haltung  aufrechter. Eine große Studie, die eine breite Öffentlichkeit erreicht,  wird wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen.
PingPongParkinson ist eine weltweite Bewegung mit Spielergemeinschaften  auf fast allen Kontinenten. Der Musiker Nenad Bach hat sie 2017 im Staat  New York ins Leben gerufen. Er hat es Tischtennis zu verdanken, dass er  nach seiner Diagnose wieder Klavier und Gitarre spielen kann. Er will  erreichen, dass möglichst viele Menschen vergleichbare Erfolge erzielen.
Als ich davon hörte, dachte ich, na, dann probier´ ich es halt auch mal  und begann mit einer Gruppe. PingPongParkinson gibt es in Deutschland  seit 2020. Wir haben heute mehr als 820 Mitglieder in über 100  Stützpunkten in Tischtennisvereinen in fast allen Bundesländern. Leider  werden wir nicht als Selbsthilfeorganisation anerkannt. Die  bürokratische Begründung ist, vereinfacht gesagt, dass wir zu viel Sport  treiben.

Wir beziehen keine Selbsthilfeförderung. Mit dem Mitgliedsbeitrag von  zwölf Euro pro Jahr und Person kommen wir nicht weit. Wir sind auf  Spenden und Sponsoren angewiesen, auch aus der Pharmaindustrie. Zum  Beispiel hat uns das Wiesbadener BioPharma-Unternehmen AbbVie bei  unserer letzten Weltmeisterschaft in Pula maßgeblich unterstützt.
Ja, wir treiben viel Sport und nehmen ihn auch Ernst. Gerade das zählt  zu unseren Stärken. Das fangt damit an, dass der 45jährige Familienvater  aus dem Haus geht und nicht sagen muss: ,Ich geh zur Selbsthilfe.` Er  sagt vielmehr: ,Ich geh zum Sport.` Das gibt ein ganz anders Gefühl.  Alle unsere Mitglieder berichten, dass es ihnen auch seelisch und mental  besser gehe, seit sie trainierten.
90 Prozent unserer Mitglieder sind keine Tischtennisspieler, sondern  beginnen nach der Diagnose. Nicht wenige fahren mit dem Rollstuhl zur  Platte. Aber wenn es los geht, stehen sie auf und vergessen ihn. Die  Krankheit tritt in den Hintergrund, auch bei mir. Wenn ich mich vor  einem Match steif fühle, kann ich mich darauf verlassen, dass ich nach  dem Einspielen wieder normal beweglich bin. Ich brauche gefühlt nur den  Schläger in die Hand zu nehmen.
Das Geräusch des Balls auf der Platte gibt einen Takt vor, der die  Koordination erleichtert. Den Effekt nutzen viele Menschen mit  Parkinson. Ein Beispiel ist das Brotschmieren, das oft schwerfällt. Es  wird viel leichter, wenn man das Messer im Rhythmus eines Lieds bewegt,  das man singt, zum Beispiel ,Mussi denn, muss I denn, zum Städele  hinaus`.
Ein anderes Beispiel ist der Gang. Wenn ich um zehn Prozent schneller  gehe als mein normales Tempo, schwingt mein Arm wieder mit, der  ansonsten herunter hängt. Symptome lassen sich austricksen, indem man  Gewohnheiten bricht. Dazu setzen wir Cues ein, auf Deutsch  Schlüsselreize. Sie können veränderte Bewegungsabläufe und Rhythmen  sein, aber auch optische Reize wie der weiße Ball, der gegen die dunkle  Oberfläche prallt.
Die meisten Neulinge im Tischtennis haben Probleme mit dem Aufschlag,  den Ball hoch zu werfen und ihn in der Luft zu treffen. Lassen sie den  weißen Ball jedoch erst auf den dunklen Tisch prallen, schaffen sie es  mühelos, den Ball in der Luft zu treffen.

Für wen ist PingpongParkinson geeignet? Ich sage immer, für jeden, der  den Weg in die Halle schafft. Während des Trainings wird die ganze Zeit  gequasselt. Nur etwa ein Drittel der Gespräche dreht sich um die  Krankheit. Es entstehen viele echte Freundschaften. Wir treffen einander  zwei dreimal die Woche, um einander Bälle zuzuspielen, und zwar so,  dass wir sie kriegen. Allein das bricht schnell das Eis. Ausnahmen sind  Turniere. Da geht es darum, dass der andere den Ball möglichst nicht  bekommt. Aber auch Ehrgeiz verbindet, es entsteht Teamgeist.
Es ist unmöglich, bei uns zu spielen ohne dabei immer wieder herzhaft zu  lachen. In Pula, wo im Sommer 2022 die Weltmeisterschaft ausgetragen  wurde, hatten wir besonders viel Spaß, sogar noch auf dem Rückflug. Vor  dem Start bat die Stewardess zwei Teamkolleginnen, den Notausgangsitz  frei zu machen, weil dort gesunde, kräftige Menschen sitzen müssten, so  die Vorschrift. Sie suchte sich zwei Männer in den besten Jahren aus,  die erwiderten: ,Wir haben Parkinson.’ So erging es ihr vier Male, bis  sie rief: ,Gibt es hier jemanden ohne Parkinson?
Es  gibt Sicherheit, wenn Menschen mit Parkinson gemeinsam reisen. Wir  alle hatten unsere Medikamente doppelt und dreifach dabei, im Handgepäck  und in aufgegebenen Koffern. Man will nämlich auf keinen Fall ohne  seine Medizin stranden. Es war gut zu wissen, dass es mit hoher  Wahrscheinlichkeit Leute geben wird, die die gleichen Pillen einnehmen  und einem im Notfall aushelfen könnten. Ein Tipp für Auslandsreisen, den  ich Betroffenen mitgeben will, ist, niemals Medikamnte aus der  Originalverpackung zu nehmen. Das erhöht das Risiko, dass sie an der  Grenze konfisziert werden.

Erst seit Frühjahr 2022 nehme ich meine Medikamente regelmäßig ein. Es  geht mir seither besser. Bis heue ist Parkinson bei uns zuhause kein  großes Thema, und das ist gut so. Unser Ältester ist 19 Jahre alt und  sehr sportlich. Es ist nicht lange her, dass ich ihn im Tennis  geschlagen habe. Die Kiste Limo, um die es ging, musste er bezahlen. 
Ich bin mit PingPongParkinson Mitglied im Parkinsonnetz Osnabrück plus.  Bei jedem Treffen entwickeln wir Ideen, wie wir die Versorgung von  Patienten mit Parkinson verbessern können. Meine jüngster Vorschlag ist  eine Notfallkarte, die bei Radiologen ausliegen sollte. Viele, wie ich  auch, erhalten dort die Gewissheit. Ich musste danach 30 Kilometer mit  dem Auto nach Hause fahren und mein nächster Arzttermin war sechs Wochen  entfernt. Es ist leider der Normalfall, dass man in dieser  entscheidenden Zeit allein gelassen wird.
Auf der Karte würde stehen, dass Parkinson kein Todesurteil ist, dass  das Leben vielmehr ohne große Einschränkungen weiter geht und sogar  bereichert werden kann. Dazu Adressen von Gruppen und vielleicht von  Paten, erkrankten Menschen, die ihre Erfahrungen an Neulinge weiter  geben wollen. So eine Karte hätte mir damals sehr geholfen.
Welche Ratschläge würde ich als Pate geben, neben, ,Spiel auf jeden Fall  regelmäßig Tischtennis!`? Meine Erfahrungen sind, dass sich meine  Lebensqualität noch einmal sehr verbessert hat, seit ich  Medikamente  regelmäßig nehme und seit ich weniger arbeite, nämlich 15 statt 50  Stunden pro Woche. Studien besagen, dass  Stress, neben Einsamkeit, der  zweite große Faktor ist, der Symptome verschlechtert
Ich bin, was Stress angeht, lange nicht mehr so belastbar wie vor zehn  Jahren, vor der Diagnose, und auch lange Autofahrten sind nicht mehr  möglich, weil ich schnell müde werde. Aber dafür hat mir die Krankheit  meine Schüchternheit genommen. Die Leute sagen mir inzwischen nach, ich  sei eine Rampensau, die aus dem Stegreif ein Publikum unterhalten kann.
Mein Leistungsdiagramm im Tischtennis zeigt aktuell, dass ich fast  wieder auf dem Stand vor der Diagnose bin. Meine Kurve steigt  kontinuierlich an, obwohl ich krankheitsbedingt als Rechtshänder die  Spielhand wechseln musste. Ich habe nach zehn Jahren Parkinson meinen  Kumpel überholt, und zwar mit links. Darauf bin ich stolz.

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Foto:PingPongParkinson Deutschland e.V.

Thorsten Boomhuis ist Mitinitiator  und Erster Vorsitzender von PingPongParkinson Deutschland e.V.,  gegründet 2020. Inzwischen gibt es bundesweit mehr als 40 Gruppen mit  rund 820 Mitglieder. Studien bestätigen die positiven Auswirkungen des  Sports auf Symptome, Verlauf und Lebensqualität.

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