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Erfahrungsbericht

Alles wird anders

Wie neue Perspektiven und ein aktiver Lebensstil den Alltag positiv verändern können.

ca. 6 Minuten

*Aus Gründen der Lesbarkeit verwenden wir die männliche Form, meinen jedoch Menschen aller Geschlechter.

Mädchen auf den Gebieten
„2006 stand ich mitten im Leben und arbeitete erfolgreich in einem internationalen Telekommunikationskonzern. In meiner Freizeit war ich sportlich aktiv, und mein Mann und ich machten Wanderreisen in der ganzen Welt. In Patagonien bemerkte ich zum ersten Mal, dass sich mein Gang veränderte. Das Knie drückte sich nach hinten weg. Ich konnte die Bewegung nicht kontrollieren. Gefühlt Tag für Tag wurde sie spürbarer und sichtbarer. Von Freunden bekam ich immer öfter zu hören: ,Du gehst irgendwie komisch."

"Heute, nach 15 Jahren mit Parkinson, lebe ich vielleicht sogar engagierter, bewusster, positiver und auf jeden Fall dankbarer als vorher."

Als  erstes machte ich einen Termin beim Orthopäden. Er schickte mich zum  Neurologen, der mich auf MS, Gehirntumor und Parkinson untersuchte, aber  keine Hinweise fand. Drei, vier weitere Neurologen suchte ich auf. Von  jedem erhielt ich einen unspezifischen Befund. Einer lautete: Burnout.  Ich bekam ein Rezept für zehn Sitzungen bei einer Psychologin. Nach  wenigen Wochen sagte sie: ,Wir können unsere Gespräche gern fortsetzten,  aber an ihrer Bewegungsstörung wird das nichts ändern.

Sie  empfahl mir, einen Termin in der Klinik für Neurologie des  Universitätsklinikums Frankfurt am Main zu vereinbaren, einer der ersten  Adressen für neurologische Erkrankungen in Deutschland. Der leitende  Oberarzt ließ mich als erstes auf dem Flur auf- und abgehen. Allein an  meinem Gangmuster erkannte er, dass ich Parkinson hatte. Eine  DAT-Scan-Untersuchung erhärtete die Diagnose.

Das  war 2008, kurz vor meinem 40sten Geburtstag. Ich war dabei, meine Party  zu planen. Ich war mir so sicher gewesen, dass ich kein Parkinson  hatte, sondern etwas, das man heilen konnte. Damals glaubte ich nämlich,  Parkinson wäre eine alte-Leute-Krankheit, und zwei Jahre lang hatten  Experten diesen Irrglauben mehr oder weniger bestätigt. Heute weiß ich,  dass jeder zehnte Patient* jünger als 40 Jahre ist, wenn er die Diagnose  erhält. Mich traf meine heftig und völlig unvorbereitet. Parkinson war  für mich der Weltuntergang, und ich wusste so gut wie nichts darüber.

Der  Arzt nahm sich Zeit, mir zu erklären, was die Krankheit bedeutet. Sie  sei kein Todesurteil, und ebenso wenig bewirke sie, dass das Leben, wie  es war, enden müsse: ,Machen Sie weiter, bleiben Sie aktiv und  lebensbejahend, auch im Beruf.` Damals haben mich seine Worte zwar nicht  trösten können, aber im Nachhinein bin ich ihm sehr dankbar dafür. Sie  haben den Weg skizziert, den ich bis heute gehe.

Der  Arzt riet mir auch, offen mit der Erkrankung umzugehen. Das habe ich  getan. Offenheit entspricht meiner Art und ist sicher nicht für jeden  Betroffenen das Richtige. Ich habe auch nicht nur gute Erfahrungen damit  gemacht. Einige Freunde und Kollegen reagierten betreten, andere  regelrecht entsetzt: ,Was, du hast Parkinson, in deinem Alter, das ist  ja schrecklich!` Heftige Reaktionen wie diese verunsicherten mich und  machten mir Angst. Es war wie bei einem Kind, das stürzt, und erst  anfängt zu weinen, weil es sieht, dass die Eltern erschrocken gucken.

Eine  bis dahin gute Freundin hat sich zurückgezogen. Wie ich damals auch,  war sie über Parkinson nicht aufgeklärt. Sie befürchtete, dass man bald  nichts mehr mit mir unternehmen können würde, und dass ich in absehbarer  Zeit ein Pflegefall wäre. Sie war Ende 30 und wollte und konnte damit  nicht belastet sein. Dafür hatte ich Verständnis.

Letztlich  war es ihre und auch meine Unwissenheit, die unsere Freundschaft  kostete. Sie und ich, wir sind kein Einzelfall. Darum ist es wichtig,  dass auch junge Menschen über Parkinson aufgeklärt werden. Es sollte  allgemein bekannt sein, dass es gerade bei Jungerkrankten die Regel ist,  weiterhin über sehr lange Zeit glücklich und aktiv zu leben.

Nach  der Diagnose habe ich sechs Jahre lang normal weiter gearbeitet. Eine  Bewegungsstörung bedeutet nämlich nicht, dass man geistig weniger  leistungsfähig oder weniger durchsetzungsstark ist. Allerdings bemerkte  ich irgendwann, dass ich nicht mehr so stressresistent bin. Mein Körper  verlangte häufiger als früher nach Ruhepausen. Als die Firma verkauft  wurde, habe ich die Chance ergriffen und bin aus dem Job ausgestiegen.

Den  Gründer der privaten, gemeinnützigen Hilde-Ulrichs-Stiftung für  Parkinsonforschung hatte ich nach meiner Diagnose kennengelernt. Die  Stiftung fördert wissenschaftliche Studien und ist eine Anlaufstelle für  Betroffene und Angehörige. Sie erhalten eine unabhängige Beratung,  detaillierte Informationen und auch Erfahrungsberichte. Er bot mir an,  die Leitung der Stiftung zu übernehmen.

Um  mich für die Aufgabe vorzubereiten, absolvierte ich ein Studium an der  Fundraising Akademie in Frankfurt zur Stiftungsmanagerin. Seit nunmehr  sieben Jahren arbeite ich erfolgreich daran, die Stiftung bekannter zu  machen und ihre Ziele umzusetzen. 2020 wurde ich mit dem Bürgerpreis der  Stadt Frankfurt am Main in der Paulskirche für mein ehrenamtliches  Engagement gewürdigt. Darüber bin ich sehr glücklich.

Heute,  nach 15 Jahren mit Parkinson, lebe ich vielleicht sogar engagierter,  bewusster, positiver und auf jeden Fall dankbarer als vorher. Mir ist  klar, dass ich im Vergleich mit anderen Betroffenen beruflich wie privat  großes Glück habe. Mit meinem Mann war ich zum Zeitpunkt der Diagnose  drei Jahre verheiratet. Er hat sofort gesagt: Das ziehen wir zusammen  durch. Es hat uns eng zusammengeschweißt, dass er damals ohne zu zögern  bedingungslos hinter mir stand. Das macht er bis heute, an guten und  weniger guten Tagen.

Die  Krankheit betrifft auch meinen Mann. Daher ist es wichtig, dass wir  ehrlich über unsere Gefühle sprechen, auch über unsere Ängste: Parkinson  ist unheilbar und unberechenbar. Die Symptome können sich jederzeit  rapide verschlechtern.

Aber  ich sage mir dann immer, dass Angst kein guter Ratgeber ist. Ich will  nicht durchs Leben gehen und mich dabei vor der Zukunft fürchten. Ich  lasse nicht zu, der Krankheit allzu viel Raum zu geben. Ich bin viel,  viel mehr als Parkinson! Es gibt Wichtigeres und Schöneres in meinem  Leben, und dafür will ich Platz schaffen!

Parkinson  hat natürlich meinen Alltag verändert. Mein Tagesrhythmus ist auf die  Medikamente abgestimmt. Nach der Einnahme muss ich zum Beispiel eine  gewisse Zeit mit der Mahlzeit warten, und auch was ich essen darf, ist  eingeschränkt. Manchmal bin ich dadurch gezwungen, Einladungen und  andere Termine kurzfristig zu verschieben.

Ich  bin seit Jahren medikamentös stabil eingestellt. Welche Arzneien wann  und wie einzunehmen sind, ist sehr komplex und individuell  unterschiedlich. Einige Betroffene nehmen fünf, andere 15 und mehr  Arzneien pro Tag oder sie müssen nachts den Wecker stellen.

Bei  mir ist es so, dass ich durchschlafen kann. Aber, wie fast alle, muss  ich feste Zeit einhalten. Reisen durch Zeitzonen, die mein Mann und ich  früher oft gemacht haben, sind dadurch kompliziert geworden. Gleich nach  der Diagnose flog ich jedes Jahr nach Sri Lanka für eine Ayurveda-Kur.  Meine Symptome haben sich danach jedesmal verbessert. Doch  Langstreckenflüge erfordern Einiges an Planung, allein wegen des  Umsteigens mitten in der Nacht. Man muss unter anderem daran denken,  einen Rollstuhl ans Gate bringen zu lassen, da es sein kann, dass man  ausgerechnet zur Ankunftszeit nicht in der Lage ist, sich zu bewegen.

Was  viele nicht wissen: Die allermeisten Parkinsonmedikamente wirken  unmittelbar. Kurz nach dem Einnehmen kann ich mich gut bewegen. Doch  nehme ich die Arzneien auch nur eine halbe Stunde zu spät, lässt die  Koordination nach und die Muskeln verkrampfen. In einem gewissen Maß  kann ich das ausgleichen. Wenn ich zum Beispiel bemerke, dass mein Bein  langsamer nachkommt, hilft es mir, ein paar Schritte rückwärts zu  laufen, kurz in Trab zu verfallen oder zu hüpfen. Das veränderte  Bewegungsmuster bewirkt eine Art Reset-Programm für den  Bewegungsapparat, aber leider nur kurzfristig.

Die  Reise nach Australien, von der wir früher geträumt haben, ist mir mit  Parkinson nicht mehr möglich, die Strapazen wären zu groß. Mein Mann und  ich haben aber nicht das Gefühl, dadurch etwas zu verpassen. Wir  genießen es, zusammen aktiv zu sein, in der Region zu wandern, gemeinsam  zu kochen, im Garten zu sitzen, zu reden und uns über unser Leben zu  freuen!

Auch  mein Sportprogramm nimmt viel Raum ein. Ich mache jeden Tag Nordic  Walking im Wald, ich fahre Rad und spiele hin und wieder Tischtennis.  Mittlerweile belegen diverse Studien, dass Bewegung den Verlauf der  Krankheit deutlich verlangsamt.

2018,  im zehnten Jahr nach meiner Diagnose, bin ich mit einer Freundin 560  Kilometer auf dem Jakobsweg gewandert, 28 Tage lang, von früh morgens  bis abends, bei Hitze und Regen. Es war eine großartige Erfahrung, ein  so hoch gestecktes Ziel erreichen zu können – und dabei 20 000 Euro  Spenden für die Parkinsonforschung sammeln zu können.

Die  Wanderung hat mich körperlich und emotional an meine Grenzen gebracht.  Während des Gehens gibt es keine anderen Anforderungen, man ist Stunde  um Stunde bei sich, bei seinen Bewegungen, Gedanken und Gefühlen. Das  Pilgern hat mich dazu gebracht, inne zu halten, und es hat mich näher zu  mir selbst geführt, sowohl körperlich als auch emotional.

Der  Jakobsweg hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, mich auch einmal  ausschließlich mit mir selbst zu beschäftigen und herauszufinden, was  mir wirklich gut tut und wie ich mich wirklich fühle. Ich habe bisher  keine psychologische Begleitung, wie viele andere Betroffene. Aber ich  nutze Entspannungstechniken, Atem- und Meditationsübungen, um mich  auszubalancieren.

Ich  glaube, es ist wichtig, mit Parkinson Frieden zu schließen, um gut  damit zu leben. Das ist ein Prozess. Neben meiner Aufgabe als  Vorstandsvorsitzende der Hilde-Ulrichs-Stiftung, leite ich die  Arbeitsgruppe Junge Patienten im Team mit fünf weiteren Jungerkrankten  beim Parkinsonnetz RheinMain+ (siehe unter: "Weitere Anlaufstellen).  Unter anderem wollen wir vermitteln, dass jeder seinen eigenen Weg mit  Parkinson finden und gehen muss. Und dass jeder Weg die Chance birgt,  Träume und Ziele zu verwirklichen und ein glückliches und aktives Leben  zu führen."

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Foto: Stephanie Heinze - energiebuendel-mit-herz.de

Stephanie Heinze, 55, Botschafterin  & Ehrenpreisträgerin der Hilde-Ulrichs-Stiftung für  Parkinsonforschung, lebt seit mehr als 15 Jahren mit Parkinson – bis  heute aktiv und glücklich.

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