top of page

Interview

Langzeitfolgen von Covid-19

Behandlungsmöglichkeiten und interdisziplinäre Ansätze

ca. 7 Minuten

*Aus Gründen der Lesbarkeit verwenden wir die männliche Form, meinen jedoch Menschen aller Geschlechter.

Mädchen auf den Gebieten
Anhaltende Abgeschlagenheit, Konzentrationsschwierigkeiten, Atemnot: Post- und Long-Covid zeigen sich mit vielen Symptomen und fast ein Drittel der Covid-Genesenen sind, so aktuelle Studien, betroffen. Wir sprachen mit Dr. Johannes Schröter und Dr. Moritz Seiffge von der Wiesbadener Median Reha-Klinik Aukammtal über besonders gefährdete Gruppen, Ursachen und Therapien – und über Impfungen als zuverlässigen Schutz auch vor Langzeitfolgen.

„Bei Long-Covid müssen wir weltweit vernetzt und schnell handeln“

Gesundheitskompass für Wiesbaden: Atemnot, Brustschmerzen, Gedächtnisprobleme, Abgeschlagenheit,  depressive Verstimmungen, Kopfschmerzen, die Liste der Symptome ist  lang, und sie passen zu zahlreichen Erkrankungen, etwa zu Burnout oder  zum Chronischen  Erschöpfungssyndrom. Gibt es eindeutige Anzeichen, dass  es sich um Long Covid und um nichts anderes handelt?
Dr. Moritz Seiffge: Nein. Ein Hinweis ist natürlich, dass Betroffene eine Covid-Erkrankung  hinter sich haben, und sich die Beschwerden nach drei bis sechs Monaten  nicht bessern oder sogar schlimmer werden. Doch wir betrachten  Long-Covid als Ausschlussdiagnose. Relevante andere Erkrankungen, die  vergleichbare Beschwerden verursachen können, sollten also  ausgeschlossen werden,bevor man die Beschwerden kausal auf die Covid-Erkrankung zurückführt. Letzten Endes ist das Detektiv- Arbeit. Im Alltag zeigt sich jedoch häufig ein typisches klinisches Bild.

Gesundheitskompass: In welchem Fall spricht man von Long-Covid und wann von Post-Covid?
Dr. Johannes Schröter:  Patienten, die  stationär  behandelt und häufig auch beatmet werden mussten, sind nach der Genesung häufig in einem deutlich  geschwächten Allgemeinzustand, leiden längerfristig an  Atem- und Lungenbeschwerden und teils auch an  gravierenden mentalen und kognitiven Störungen leiden. Diese  Einschränkungen nach einem schweren Verlauf werden unter dem Begriff  Post-Covid zusammen gefasst.​ Von Long-Covid sprechen wir nach einem  sogenannten prolongierten Verlauf.Das heißt, Covid verläuft wie eine  schwere Grippe, die im allgemeinen nicht stationär behandelt werden  muss. Die Symptome klingen aber nur sehr langsam ab, häufig über Monate.  Verbreitet sind allgemeine schwere Erschöpfung, Schwäche, Kopf- und  Muskelschmerzen und seelische Beschwerden, aber auch anhaltende Herzrhythmus- und Gedächtnisstörungen.

Gesundheitskompass: Es  gibt also einen Zusammenhang zwischen der Schwere des Verlaufs einer  Covid 19-Erkrankung und der Schwere und Art der Post- oder  Long-Covid-Symptome.Dr.M.S.: Ja, doch Langzeitfolgen können nach leichten wie dramatischen Verläufen auftreten. Da gibt es keine Gewissheit.Dr.J.S.: Als Median im April 2020 mit Reha-Programmen für von Covid-19 Genesene  angefangen hat, übrigens als erste Einrichtung in Deutschland, kamen  fast nur ältere Post-Covid-Patienten. Im Herbst 2020, bei der zweiten  Welle, war eine Mehrheit von ihnen geimpft und geschützt. Dafür hat die  Anzahl der Long-Covid-Patienten stetig zugenommen. Inzwischen sehen wir  überwiegend viele jüngere, nicht geimpfte Menschen, die nach einem  weniger problematischen Verlauf nicht mehr richtig auf die Beine kommen.

Gesundheitskompass: Wie erklären Sie diese Langzeitfolgen?
Dr.J.S.: Studien legen nahe, dass eine Überreaktion des Immunsystems eine  Hauptrolle bei Long-Covid spielen könnte. Einfach erklärt, fährt das  Immunsystem bei einem leichten Verlauf schwere Geschütze auf. Ist das  Virus besiegt, richten sie sich gegen gesunde Regionen des Körpers.  Long-Covid wäre demnach eine Autoimmunstörung. Sie tritt bei Frauen und  jungen Menschen etwas häufiger auf, wie übrigens auch Long-Covid.

Gesundheitskompass: Wie erklären Sie diese Langzeitfolgen?
Dr.J.S.: Studien legen nahe, dass eine Überreaktion des Immunsystems eine  Hauptrolle bei Long-Covid spielen könnte. Einfach erklärt, fährt das  Immunsystem bei einem leichten Verlauf schwere Geschütze auf. Ist das  Virus besiegt, richten sie sich gegen gesunde Regionen des Körpers.  Long-Covid wäre demnach eine Autoimmunstörung. Sie tritt bei Frauen und  jungen  Menschen etwas häufiger auf.

Gesundheitskompass: Demnach spielen auch Alter und Geschlecht eine Rolle beim Risiko, an Long-Covid zu erkranken?
Dr.J.S.: Ja, statistisch gesehen sind die meisten Long-Covid Patienten zwischen  40 und 50 Jahre alt, und mehr Frauen sind betroffen. Aber es kann jede  und jeden treffen. Unsere jüngsten Patienten hier in Wiesbaden sind 21,  22 Jahre alt, ohne Vorerkrankungen und mit einem milden  Covid-19-Verlauf.

Gesundheitskompass: Können Medikamente oder eine Psychotherapie gegen Long-Covid helfen?
Dr.J.S.: Da Long-Covid sehr vielfältige Symptome hat, ist in der Regel eine  Therapie allein nicht ausreichend. In den meisten Fällen ist eine  interdisziplinäre Behandlung am wirksamsten, wie Reha-Einrichtungen sie  anbieten.
Dr.M.S.: Unsere Reha-Patienten werden individuell von einem Team von Experten  behandelt, darunter Lungenfachärzte, Kardiologen, Neurologen,  Sportmediziner, Physio- und Psychotherapeuten.

Gesundheitskompass: Chronische Erschöpfung und depressive Verstimmungen zählen zu den  häufigsten Long-Covid-Symptomen. Lassen sie sich mit  Entspannungsübungen, Sport und Selbstdisziplin, also ohne ärztliche  Behandlung in den Griff bekommen?
Dr.J.S.: Nein,  es ist kein guter Rat, wie man so schön sagt, sich zusammenzureißen  oder selbst herumzudoktern. Es kann sogar gefährlich sein, wenn zum  Beispiel ein kardiologisches Problem hinter einer Erschöpfung steckt,  das sich durch Sport noch verschlimmern würde.
Dr.M.S.: Wer  den Verdacht auf Long-Covid hat, sollte sich unbedingt an den Hausarzt  oder behandelnde Facharzt wenden oder an eine Long-Covid  Beratungsstelle, wie es sie auch in Wiesbaden gibt (siehe Adressen  unten).

Gesundheitskompass: Falls ein Arzt eine Reha verordnet, werden die Kosten von den Kassen übernommen, richtig?
Dr.J.S.: Ja. Das gilt für Einrichtungen, die anerkannte Programme zum Erreichen  der geforderte Behandlungsziele anbieten, nämlich die Wiederherstellung  und Sicherung der Teilhabe der Patienten am gesellschaftlichen Leben.
Dr.M.S.: Median  hat diese Infrastruktur seit April 2020. Wenige Wochen nach dem Beginn  der Pandemie waren wir der erste Reha-Anbieter für Covid-Genesene in  Deutschland und haben seither mehr als 3500 Patientinnen und Patienten  behandelt.

Gesundheitskompass::  In der Inneren Medizin im Median Reha Zentrum Sonnenberg Wiesbaden sind  aktuell rund 20 Prozent der Patienten zur Covid-Reha. Was erwartet sie?

Dr.M.S.: Je nach Ausprägung, bieten wir stationär vier Schwerpunktbehandlungen  an. Eine konzentriert sich auf die Verbesserung der Atmung und der  seelischen Verfassung. Eine andere richtet den Fokus auf  psychosomatische Beschwerden, ausgelöst durch Angst- und  Zwangsstörungen, depressive Verstimmungen und Depressionen, auch in  Folge von Trauer. Es gibt außerdem ein Programm für Suchterkrankungen,  die während des Lockdown stark zugenommen haben, und wir haben ein  Angebot, zugeschnitten auf  Menschen, die an Folgen einer  Langzeitbeatmung leiden.
Dr.J.S.: Über  Erfahrungen mit den Programmen tauschen wir uns regelmäßig mit Kollegen  bei Median aus, und es besteht ein Forschungsprojekt mit dem Fatigue  Centrum der Charité in Berlin, Experten für das Chronische  Erschöpfungssyndrom.
Dr.M.S: Wir  veranstalten auch internationale Symposien zu Long- und Post-Covid.  Unsere Daten zur Reha nach Covid 19 zählen international zu den  umfangreichsten. Median stellt sie, natürlich datenschutzkonform,  Forschern und Kollegen in aller Welt zur Verfügung. Es ist wichtig, sich  im Kampf gegen Corona über Landesgrenzen hinweg zu vernetzen und  zusammen zu arbeiten. Je schneller die Forschung fortschreitet, desto  besser können wir Betroffenen helfen.

Gesundheitskompass: Können Sie bitte eine besonders effektive Therapie beschreiben?
Dr.M.S.: Bei  der Verbesserung der Lungenfunktion und Kondition erzielen wir sehr  gute Erfolge mit unserem simulierten Höhentraining. Patienten sind mit  einem Schlauch und einer Atemmaske mit einem Gerät verbunden, das wie  eine Waschmaschine aussieht. Es senkt den Sauerstoffgehalt der Atemluft  ab. Hierdurch wird die Herz- und Lungenfunktion sowie die Blutproduktion  gesteigert. Es ähnelt der Art, wie sich etwa auch Leistungssportler auf  Wettkämpfe vorbereiten.

Gesundheitskompass: Wie lange dauert eine Reha, die von den Kassen übernommen wird?
D.J.S.: Bei uns in der Regel 21 Tage, mit der Option zu verlängern.

Gesundheitskompass: Kann man Long-Covid vorbeugen?
Dr.M.S.: Ja,  und zwar am effektivsten mit einer vollständigen Impfung  beziehungsweise einer Booster-Impfung. Leider hält sich das Gerücht  hartnäckig, dass auch Impfstoffe Long-Covid auslösen können. Das ist  Unsinn, es gibt keine seriöse Studie und keine ernstzunehmenden  Erfahrungsberichte, die darauf hinweisen.

Gesundheitskompass: Wie Long-Covid-gefährdet sind Kinder, die sich bisher nicht impfen lassen können?
Dr.J.S.: Eltern  müssen sich keine allzugroßen Sorgen machen. Nach allem, was wir  wissen, ist bei kleinen Kindern der Verlauf von Covid 19 mehrheitlich  unkompliziert, oft erleben sie die Erkrankung sogar ohne sie zu  bemerken. Und auch Long Covid ist eine sehr seltene Ausnahme.

Gesundheitskompass: Demnächst wird die Stiko den mRNA-Impfstoff für Kinder empfehlen. Schließen Sie sich an?
Dr.J.S.: Natürlich!  Die Zulassungsverfahren sind zuverlässig und die vorgesehenen  mRNA-Impfstoffe sind sicher. Natürlich gibt es seltene Fälle von  Unverträglichkeiten oder Vorerkrankungen, bei denen von einer Impfung  abzuraten ist. Aber bei den allermeisten Menschen jeder Altersgruppe ist  das Risiko, an Covid und den Folgen zu leiden, immens viel größer.
Dr.M.S.: Dem  stimme ich zu. Eltern und Erwachsene, die mit dem Impfen zögern,  sollten wissen, dass wir unter 20-Jährige in der Reha haben, die  monatelang auf einen Rolator angewiesen waren, vormals gesunde, fitte  Leute! Ein junger Mann sagte mir einmal, er hätte nie gedacht, dass ihm  so etwas passieren könne und er habe fest geglaubt, Covid und Long-Covid  seien nur für alte Menschen mit Vorerkrankungen gefährlich.

Gesundheitskompass: Ist Long-Covid heilbar?
Dr.J.S.: Da  die Ursachen noch immer nicht vollständig bekannt sind, kann man streng  genommen nicht von einer Heilung sprechen. Aber die Beschwerden lassen  sich mit individuellen Therapien, bis auf wenige Ausnahmen, so weit  verbessern, dass ein Alltagsleben wie zuvor wieder möglich.
Dr.M.S.: Nach  einer Reha in einer anerkannten Einrichtung hat die überwiegende  Mehrzahl der Long-Covid-Patienten das Ziel erreicht, wieder am  gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können, alle anderen sind ihm  einen entscheidenden Schritt näher gekommen.

Gesundheitskompass: Dr. Schröter, Dr. Seiffge, vielen Dank für das Gespräch!

Allergie_PLudge-Klimek_c-ZRA-Wiesbaden (1).jpg

Foto: ©Median Kliniken

Dr. med Moritz Seiffge ist Facharzt für Innere Medizin und Leitender Oberarzt Abteilung Innere Medizin und Kardiologe des Median Reha-Zentrums Wiesbaden Sonnenberg, zum dem die Rehaklinik Aukammtal gehört.
Beide Interviewpartner gehören dem Medical Board Long Covid der  Median Kliniken an. Chefärzte und Chefärztinnen aus den Fachabteilungen  Pneumologie, Orthopädie, Neurologie, Innerer Medizin, Kardiologie und  Psychosomatik bündeln ihre Erfahrungen, um auf die sich schnell  ändernden Herausforderungen in Zusammenhang mit Covid-19 reagieren zu  können.

Foto: ©Median Kliniken

Pollen2.png

Dr. med.  Johannes Schröter ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie,  Chirotherapie, Physikalische Therapie, Spezielle Schmerztherapie,  Röntgendiagnostik des Skeletts und Notfallmedizin. Er ist Ärztlicher  Direktor und Chefarzt Orthopädie des Median Reha-Zentrums Wiesbaden  Sonnenberg.

Wo Betroffene von Post- und Long-Covid Hilfe finden

Im St. Josefs-Hospital Wiesbaden findet jeden Dienstag eine Post- und Long-Covid Sprechstunde statt. Bitte einen Termin vereinbaren.

Die  DKD Helios Klinik Wiesbaden haben für Genesene mit lang anhaltenden  Beschwerden eine Post-Covid-Beratung und -Betreuung eingrichtet. Mehr Informationen.

Das Median Reha-Zentrum Wiesbaden Sonnenberg bietet Beratung und ein interdisziplinäres Post-Covid-Reha-Programm. Mehr Informationen

Reha für Covid 19 Erkrankte ist eine Seite, auf der die Median Kliniken ihre Therapie-Angebote vorstellen. Mehr Informationen.

Das  Reha-Portal Qualitätskliniken stellt eine Übersicht über Reha-Kliniken  im ganzen Bundesgebiet mit Therapien für Post- und Long bereit. Mehr Informationen  

Studien,  Erfahrungsberichte, Therapiekonzepte und andere Daten über Long-Covid  stellen die Median Kliniken Experten und Betroffenen in aller Welt zur  Verfügung. Zur Seite.

Selbsthilfegruppen für Betroffene von Long-Covid im Bundesgebiet finden Sie hier.

Die Long-Covid-Initiative des Bundesministeriums für Gesundheit bietet u.a. Antworten auf häufig gestellte Fragen, eine regionale Kliniksuche ein kostenloses Service-Telefon: 030 340 60 66 04.

bottom of page