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Interview

Blutspende

Warum Blut­spen­den Ängste wecken kann – und wie man sie be­siegt

ca. 5 Minuten

*Aus Gründen der Lesbarkeit verwenden wir die männliche Form, meinen jedoch Menschen aller Geschlechter.

Mädchen auf den Gebieten
Noch gibt es keinen künstlichen Ersatz für unseren Lebenssaft. Ihn zu spenden, ist wichtig, das bestätigen rund 94 Prozent der Deutschen. Doch nur etwa drei Prozent sind tatsächlich dazu bereit. Wir sprachen mit Dr. med. Bernd Oliver Maier über das verbreitete Zaudern, über Ängste, Fakten und Mythen, zum Beispiel von Vampiren, über süßes und böses Blut – und über gute Gründe, ein Lebensretter zu sein

„Unser Blut ist ein sehr schlaues, schnelles und flexibles Organ“

Gesundheitskompass: Inwiefern ist der Magen oder das Herz dümmer als Blut?
Dr. med. Bernd Oliver Maier: Wenn ich von der Intelligenz von Blut spreche, dann meine ich damit die  Vielzahl von Funktionen die es erfüllt, die Geschwindigkeit, mit der es  reagieren und sich erneuern kann und die feine Abstimmung der Systeme,  die innerhalb des Bluts wirken. In diesen genannten Punkten ist es  anderen Organen, auch Magen und Herz, überlegen. Darum ja, in dem  beschriebenen Sinn ist Blut tatsächlich schlauer.

Gesundheitskompass: Welche Funktionen erfüllt es?
Dr. Maier: Blut  hat verschiedene Bestandteile, die unterschiedliche Aufgaben übernehmen  und in komplexen Wechselwirkungen stehen. Der flüssige Teil, das  Plasma, transportiert neben Salzen, Einweißen und anderen Nähr- und  Botenstoffen, die festen Bestandteile. Das sind zu 99 Prozent die roten  Blutkörperchen, die unter anderem Zellen mit Sauerstoff versorgen und  Kohlendioxid abtransportieren. Den Rest machen überwiegend die weißen  Blutkörperchen aus, die  unser Immunsystem bilden, und zu einem  kleineren Teil die Blutplättchen, die das Blut gerinnen lassen, so dass  wir nicht verbluten, wenn wir uns verletzen.

Gesundheitskompass:  Als Hämatologe sind Sie auf Erkrankungen spezialisiert, die alle   Bestandteile betreffen können. Andere Organe können wir stärken, zum  Beispiel Herz und Lunge durch Sport. Gibt es die Möglichkeit auch beim  Blut?
Dr. Maier: Ja, indem wir dem Blut seine Bausteine zuführen, vor allem Vitamine,  Folsäure und Mineralien. Eine gesunde, ausgewogene Ernährung mit  überwiegend frischen Zutaten deckt den Bedarf. In einigen  Lebenssituationen, etwa während der Schwangerschaft und Stillzeit, kann  es sinnvoll sein, zusätzlich handelsübliche Präparate einzunehmen.  Wichtig ist, einem Mangel vorzubeugen und dafür zu sorgen, dass die  Speicher gefüllt sind.

Gesundheitskompass: Kann der Arzt den Füllstand feststellen?
Dr. Maier: Ja, mit einem Blutbild. Bei extremen Mangelerscheinungen kann man  hochdosierte Präparate verordnen. Es gilt das Prinzip viel hilft viel.  Man hört immer wieder warnende Stimmen. Aber meiner Meinung nach können  gesunde Menschen wenig falsch machen. Sollte jemand tatsächlich zuviel  einnehmen, zum Beispiel Vitamin C, scheidet der Körper es über die  Nieren wieder aus.

Gesundheitskompass: Je  nach Alter, Gewicht und Größe zirkulieren etwa zwischen drei und sechs  Liter Blut im Körper. Verlieren wir in kurzer Zeit rund die Hälfte,  versagt das Herz. Kann uns bereits der knappe halbe Liter schwächen, der  bei der Vollblutspende entnommen wird?

Dr. Maier: Nein.  Diese Menge ersetzt der Körper, ohne dass wir Beschwerden spüren. Blut  bildet sich vergleichsweise schnell neu. Die Plättchen erneuern sich  nach 48 Stunden, die roten Blutkörperchen nach 120 Tagen. Man darf nur  alle zwei Monate spenden, Frauen alle drei Monate. Nach dieser Zeit ist  der Verlust komplett ausgeglichen und die Speicher haben sich wieder  gefüllt.

Gesundheitskompass: Warum dürfen Frauen seltener spenden?
Dr. Maier: Frauen haben im Durchschnitt weniger Blut, zum einen, weil sie kleiner  und leichter sind, zum anderen verlieren sie bis zur Menopause monatlich  etwa 60 Milliliter, die ihr Körper ersetzen muss. Jeder Erstspender und  Mehrfachspender wird vorher untersucht. Diese Untersuchung ist  standardisiert. Würde man Frauen erlauben, öfter zu spenden, müsste sie  individuell angepasst werden und sie wäre aufwendiger. Das können die  Blutspendestellen nicht leisten.

Gesundheitskompass: Sind aufwendige Voruntersuchungen auch der Grund, warum Erstspender  nicht älter als 65 Jahre sein dürfen und man ab 74 Jahren nicht mehr  spenden darf?
Dr. Maier: Richtig, in dieser Altersgruppe kommen zum Beispiel Herz- und  Gefäßerkrankungen häufiger vor, und diese Erkrankungen müssten  individuell ausgeschlossen werden.

Gesundheitskompass: Blutspenden an sich ist also kein Gesundheitsrisiko. Aber wie sieht es  mit dem Risiko aus, sich in der Blutspendestelle zu infizieren?
Dr. Maier: Dieses Risiko existiert nicht. Die Verfahren, sowohl bei der  Vollblutspende als auch der Plasmaspende, bei der Blut gefiltert und die  festen Bestandteile zurück in den Körper geleitet werden, schließen  Übertragungen von Erregern aus. Und das Coronavirus wird im Übrigen  nicht über Blut übertragen, sondern über die Haut und die Luft. In den  Spendestellen gelten strenge Hygieneregeln. Darüber hinaus muss jeder  Spendewillige versichern, dass er keine Symptome hat und sich gesund  fühlt, und bekommt vor Ort die Temperatur gemessen. Wie in Arztpraxen  und Kliniken auch, gibt es keine vergrößerte  Ansteckungsgefahr zu  befürchten.

Gesundheitskompass: Welche Befürchtungen halten denn so viele Menschen davon ab, Blut zu spenden?
Dr. Maier:  Neben der nicht begründeten Angst, sich zu infizieren, sind es wohl  auch unsere Urängste, mit denen zum Beispiel Vampirfilme und -romane  spielen. Der Anblick, wie unser Lebenssaft aus uns heraus fließt,  erschreckt uns. Das ist tief in uns verwurzelt und lässt sich bereits  bei ganz kleinen Kindern beobachten. Wenn sie hinfallen, und da ist  nichts zu sehen, stehen sie auf und spielen weiter. Aber wehe es blutet,  dann fließen die Tränen, auch wenn es nur ein kleiner Kratzer ist.

Gesundheitskompass: Viele  können auch als Erwachsene kein Blut sehen. Nur wenige Spender werden  zuschauen, wie es in den Klarsichtbeutel gepumpt wird. Was hilft gegen  drohende Ohnmacht, Panikattacken und Magengrummeln?
Dr. Maier: Wegschauen, lesen, Musikhören auf dem mitgebrachten Handy sind gute  Ablenkungsstrategien. Und was auch hilft ist, sich vor Augen zu führen,  dass man Leben rettet. Ein gutes Gefühl ist erfahrungsgemäß stärker als  ein mulmiges.
Gesundheitskompass: Blutspenden  und Leben zu retten geben zweifellos ein gutes Gefühl. Ist es dazu  nicht sogar noch gut für die eigene Gesundheit? Früher war Aderlass ein  Allheilmittel. Bis heute empfehlen ihn einige Heilpraktiker und  Mediziner, zum Beispiel gegen Bluthochdruck.
Dr. Maier: Soweit würde ich nicht gehen, Blutspenden als Therapie zu empfehlen.  Mit Ausnahme von Erkrankungen, bei denen der Körper zu viel Eisen  einlagert, ist Blutabnahme keine Behandlungsmethode der Schulmedizin.  Zwar senkt der Blutverlust bei einer Spende den Blutdruck kurzzeitig,  aber ich kenne keine Studien, die auf einen nachhaltigen Effekt des  Spendens hindeuten.

Gesundheitskompass: Und was halten Sie von Eigenblutbehandlungen, die das Immunsystem stärken sollen?
Dr. Maier: Auch  da bin ich skeptisch. Ich will nicht ausschließen, dass sie, wie auch  Aderlasse, Beschwerden lindern können, aber das hat meiner Meinung nach  andere Gründe.

Gesundheitskompass: Welche Gründe sind das?
Dr. Maier: Da spielt sicher die ritualisierte Wertschätzung eine Rolle.  Wenn man daran glaubt, dass eine Behandlung einem gut tut und wirkt,  dann kann das einen positiven Effekt haben. Aderlass und  Eigenblutbehandlungen, von Fachleuten ausgeführt, nutzen zwar aus Sicht  der Schulmedizin nichts, aber schaden werden sie auch selten.
Gesundheitskompass: Um  Blut ranken sich viele Mythen, und es ist in unsere Alltagssprache  gegenwärtig. Man ärgert sich bis aufs Blut, das Blut gerät in Wallung  und ein Verhalten kann böses Blut geben. Gibt es denn gutes und böses  Blut?

Dr. Maier: Das  böse Blut entstand wohl bevor das ABO-Blutgruppensystem bekannt war,  das der österreichische Arzt und Nobelpreisträger Karl Landsteiner 1900  entdeckte, der 40 Jahre danach auch als Erster den Rhesusfaktor  beschrieb. Vor jener Zeit kam es bei Transfusionen oft zu  Unverträglichkeiten, an denen die Patienten starben. Man glaubte, sie  hatten böses Blut bekommen, aus heutiger Sicht also die falsche  Blutgruppe. So gesehen, gibt es inzwischen kein böses Blut mehr, aber so  etwas wie das beste Blut. Besonders gefragt sind nämlich Spender der  Gruppe Null negativ. Ihr Blut verträgt sich mit allen anderen Gruppen,  kann also jedem Patienten verabreicht werden.

Gesundheitskompass: Und es gibt süßes Blut, zumindest behaupten das Menschen, die bevorzugt von Mücken traktiert werden.
Dr. Maier: Ja, das gibt es wirklich, und zwar bei bei Diabetikern. In den Anfängen  der Medizin hat man den Geschmack von Urin und auch von Blut zur  Diagnose genutzt. Ich weiß von Hunden, die Inhaltsstoffe im Blut riechen  können, aber ob Insekten dazu in der Lage sind, das bezweifle ich.
Gesundheitskompass: Warum werden einige Menschen häufiger gestochen?
Dr. Maier: Vielleicht haben diese Menschen besonders dünne Haut oder ihr Schweiß  enthält Lockstoffe. Meiner Erfahrung schützen handelsübliche  Vitamin-B-Präparate, die man einnimmt, recht gut vor Stichen. Den Duft  scheinen Mücken nicht zu mögen.
Gesundheitskompass: Was fasziniert Sie an Blut besonders?
Dr. Maier: Seine  Intelligenz, besonders die des Immunsystems. Es erinnert sich an alle  Infektionskrankheiten, die wir hatten, und es produziert bei Bedarf in  wenigen Tagen wirksamen Abwehrsysteme. Das nutzen wir bei Impfungen. Wir  geben dem Blut den unschädlichen Nachbau eines Virus, und es produziert  eine Waffe, die auch gegen das gefährliche Original wirkt. Als Student  hatte ich Sorge, dass die Faszination nachlassen würde, je mehr ich  lerne. Aber sie wächst bis heute.
Gesundheitskompass: Herr Doktor Maier, vielen Dank für das Gespräch.

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Foto:St. Josefs-Hospital Wiesbaden

Dr. med. Bernd Oliver Maier ist  Chefarzt der Medizinischen Klinik III  – Palliativ und Onkologie am  St.  Josefs-Hospital Wiesbaden, Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und  Internistische Onkologie, Mitglied des klinischen Ethikkomitees des  JoHo und Präsident des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für  Palliativmedizin. Auf der Focus Gesundheit Ärzteliste 2020 wurde er als  „Top-Mediziner“ für den Bereich Palliativmedizin ausgezeichnet.

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Adressen & Informationen

Einfach  Leben retten – Spende Blut! ist eine Kampagne der Bundeszentrale für  gesundheitliche Aufklärung (BZgA), gefördert durch die Bundesrepublik  Deutschland. Spendewillige und Skeptiker finden auf der Seite einfach verständliche Informationen

Das Deutsche Rote Kreuz bietet ausführliche Informationen zu Vollblut- und Plasmaspenden  

Blutspendetermine in Wiesbaden kann man reservieren, z.B. über die Seite des Deutschen Roten Kreuz

Die  Transfusionszentrale der Universitätsmedizin der Johannes  Gutenberg-Universität Mainz bietet Termine vor Ort und ambulante  Spendemöglichkeiten. Mehr Informationen und Termine 

In  den Helios Dr. Horst Schmidt-Kliniken Wiesbaden ist Blutspenden montags  zwischen 10:00 und 12:30 Uhr und zwischen 14 bis 18 Uhr möglich, eine  Anmeldung ist nicht erforderlich. Mehr Informationen

Wir  besiegen Blutkrebs ist die Vision der DKMS, der Deutschen  Knochenmarkspenderdatei. Das wichtigste blutbildende Organ spielt die   zentrale Rolle beim Entstehen von Blutkrebs. Die wichtigste Therapie ist  die Übertragung von Stammzellen aus gesundem Spenderknochenmark. Wer an einer Spende interessiert ist, kann sich informieren und registrieren 

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