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Heilkraft der Hände

ca. 4 Minuten

*Aus Gründen der Lesbarkeit verwenden wir die männliche Form, meinen jedoch Menschen aller Geschlechter.

Image by MK Hamilton
Gelenkschmerzen, Verdauungsprobleme, Migräne, Tinitus und viele weitere Erkrankungen behandelt Luisa Glaser mit Berührungen. In den USA, wo Osteopathie vor mehr als 140 Jahren erfunden wurde, ist sie längst Teil der Schulmedizin. Auch hierzulande findet die Therapieform immer mehr Anhänger. Die Wiesbadenerin erklärt, was Patientinnen und Patienten erwarten können – und warum auch Skepsis berechtig sein kann.

"Wir helfen dem Körper, sich selbst zu kurieren"

Bäuchlings  ausgestreckt liegt die Patientin auf dem Behandlungstisch. Die  Therapeutin lässt Finger und Handteller über Rippenbögen wandern,  verharrt neben einem Brustwirbel, übt Druck aus, nimmt ihn wieder weg,  wechselt die Seite. Von außen betrachtet geschieht wenig: ein bisschen  Massage, ein paar Streicheleinheiten. Aber die Wirkung, glaubt man  Osteopathen und vielen Betroffenen, kann immens sein: Demnach gibt es  kaum Erkrankungen, bei denen osteopathische „Handarbeit“ keine Wirkung  zeigen kann.

Die  Erklärung, die die Osteopathie dafür liefert: Erkrankungen basieren auf  Blockaden und Staus von Körperflüssigkeiten. Bringt man den Fluss mit  besonderen Griffen wieder in Bewegung, kann der Körper sich selbst  heilen. Und: Eine Erkrankung entsteht nur selten am Ort der Blockade;  sitzt sie in der Niere, kann sie zum Beispiel Kopfschmerzen bereiten.  Ebenso ist es möglich, dass sich eine Störung an der Halswirbelsäule  etwa im Knie bemerkbar macht, als Tinitus oder Verdauungsprobleme.

Flüssigkeiten,  Organe, Gelenke, Muskeln, Sehnen, Nerven – alle Teile des Körpers, so  die Theorie weiter, sind verbunden und stehen in Wechselwirkung. Das  Netz, das alles zusammen hält, bilden die Faszien. Das weiße, zähe  Fasergewebe kennt jeder, der einmal ein Schnitzel oder einen Braten  zubereitet hat. Faszien zu entspannen, zu entwirren und sie anzuregen,  sich neu zu verknüpfen, sind eine Hauptaufgabe der Osteopathie.

Osteopathie  wurde vor rund 150 Jahren von Dr. Andrew Taylor Still in Kirksville im  US-Staat Missouri entwickelt und fand schnell zahlreiche Anhänger. 1892  gründete der Arzt in seinem Heimatstädtchen die American School of  Osteopathy. Heute ist sein Therapieansatz in den USA ein eigenständiges  Gebiet der Schulmedizin: Es gibt mehr als 30 Hochschulen, die ein  Studium anbieten, und die rund 54 000 US-amerikanischen „Doctors of  Osteopathy“ (D.O.) sind ihren Kollegen, den traditionellen „Medical  Doctors“ (M.D.), gleichgestellt.

„Davon sind wir hier weit entfernt“, sagt Luisa Glaser. Der Beruf ist weder geschützt, noch ist die Ausbildung vereinheitlicht.

„Man  sollte darum vorsichtig sein, zum wem man geht.“ Ein Verzeichnis der  qualifiziert ausgebildeten Osteopathen, die rund sechs Jahre lang  Anatomie, Diagnostik, Biologie und andere medizinrelevanten Fächer  studiert, Prüfungen abgelegt und nach dem Studium Fortbildungen  absolviert haben, findet man beim Verband der Osteopathen in Deutschland (VOD) e.V.  mit Sitz in Wiesbaden. Er hat derzeit rund 5400 Mitglieder, Tendenz  steigend, und setzt sich unter anderem für ein Berufsgesetz für  Osteopathen ein.

Es  gibt drei Untergebiete der Osteopathie. Bei der craniosacralen Therapie  werden Regionen vom Schädel (cranium) entlang der Wirbelsäule bis zum  Kreuzbein (sacrum) stimmuliert. Die viszerale Therapie konzentriert sich  auf die Organe und die strukturell-parietale Therapie auf Knochen,  Gelenke, Muskulatur und das Gewebe. „Ich wende Kombinationen aller drei  Gebiete an“, sagt Luisa Glaser, und dass es ganz auf die Patientin  ankomme, welche Therapien sie auswähle.

Maximal  sieben behandelt sie pro Tag, mindestens eine Stunde dauert jede  Sitzung. Im Raum Wiesbaden liegt der Preis dafür zwischen etwa 100 und  140 Euro. Viele Kassen kommen ganz oder zumindest anteilig für die  Kosten auf. Nicht wenige Experten kritisieren das Entgegenkommen auf die  Wünsche der Versicherten als „Marketing-Tool“. Denn die Wirkung sei,  wie bei der Homöopathie, nicht durch Studien belegt und kaum mehr als  ein Placebo-Effekt.

Anhänger  der Osteopathie entgegnen: Studien mit Vergleichsgruppen seien kaum  durchführbar: Probanden in Vergleichsgruppen müssten von Schauspielern  einer „scheinosteopathischen Behandlung“ unterzogen werden. Es gebe  jedoch zahlreiche subjektive Studien, bei denen unter anderem Fragebögen  ausgewertet werden, die eine Wirkung aufzeigten. Und, so ein weiteres  Argument: Wenn man nur macht, was ohnehin bewiesen ist, kommt man nicht  weiter – ein Prinzip, das für alle Gebiete gilt.

Nicht  wenige Ärzte teilen die Ansichten und machen Fortbildungen in  Osteopathie. Ihr Credo: Schulmedizin und die ganzheitlichen Ansätze  müssen einander nicht widersprechen, sondern können sich ergänzen.

Es  ist wie bei jedem Arztbesuch auch: Wer voller Skepsis in die Praxis  kommt, verkleinert die Chance, dass eine Therapie wirkt. Wissenschaftler  sprechen vom Nocebo-Effekt (siehe dazu auch unser Experten-Video). Eine vertrauensvolle Beziehung und eine positive Erwartungshaltung begünstigen dagegen Behandlungserfolge.

Luisa  Glaser ist Osteopathin geworden, weil sie als Kind mit einer  Sportverletzung eine Odyssee durch schulmedizinische Praxen erlebt hat.  Geholfen hat ihr schließlich eine Osteopathin: „Sie hat nicht das  betroffene Handgelenk, sondern meine Halswirbelsäule behandelt. Der  Grund, warum ich nicht mehr Badminton spielen konnte, war eine  Verspannung im Nacken, ausgelöst durch ein altes, längst vergessenes  Schleudertrauma.“

Osteopathie  ist Detektivarbeit. Um Ursachen von Erkrankungen auf die Spur zu  kommen, spielen Gespräche wichtige Rollen: „Osteopathinnen müssen gut  zuhören können“, sagt Luisa Glaser. Das wichtigste Werkzeug ist die  Palpation, das medizinische Abtasten, das während der Ausbildung  besonders geschult wird. Geübt wird mit anatomischen Nachbildungen von  Skeletten, bedeckt mit Schaumstoffmatten, und mit Hilfe von  Studienkollegen: „Wir haben in Seminaren abwechselnd gegenseitig Organe  und Knochen erspürt, bis jeder Griff saß.“

Was  zufällig und wundersam aussieht, erfordert Fingerspitzengefühl,  Erfahrung und Fachwissen. „Wer zum Beispiel die Differentialdiagnostik  nicht gut beherrscht, also das Ausschließen von Krankheiten, deren  Symptome einander ähneln, kann Schaden anrichten“, sagt Luisa Glaser.  Auch die eigenen Grenzen müsse man erkennen können. Einige ihrer  Patienten habe sie zum Facharzt geschickt: „Bei akuten fiebrigen  Infektionen und Tumoren zum Beispiel, können Osteopathen, wenn  überhaupt, nur begleitend behandeln.“

Osteopathie  wirkt in der Regel langsam. Eine schnelle Hilfe, wie etwa durch ein  Fiebermedikament oder eine Operation, ist nur in Ausnahmefällen möglich.  Im Gegensatz zu ihren US-Kolleginnen, darf Luisa Glaser weder  Arzneimittel verschreiben noch körperliche Eingriffe vornehmen.

Ihr  welteit anerkannter Hochschultitel „Master of Science der Osteopathie“  berechtigt Luisa Glaser auch nicht dazu, in Deutschland eine eigene  Praxis zu führen. Dazu musste sie zusätzlich eine Heilpraktikerprüfung  ablegen. „Zum Schutz der Patienten ist es gut, dass strenge Regeln  gelten“, sagt sie. „Aber besser wäre es, wenn sie bundes- oder möglichst  weltweit einheitlich wären.“

Trotz  kritischer Stimmen wird Osteopathie auch hierzulande immer beliebter.  Luisa Glasers Praxisteam hat sich inzwischen um zwei Kolleginnen  vergrößert. Der Satz, den sie nach Therapiestunden oft hören, lautet:  „Es geht mir besser.“

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Foto: Praxis für Osteopathie Luisa Glaser

Luisa Glaser (Foto) ist Master of Science der Osteopathie. Studiert hat sie rund sechs Jahre lang an der Hochschule Fresenius in Idstein, der bislang einzigen in Deutschland, die Osteopathie als Bachelor und Master Studium anbietet. „Wir behandeln nicht Symptome, sondern Ursachen einer Erkrankung“, sagt sie. „Sie zu finden, erfordert eine Menge Wissen, Erfahrung und Zeit.“ Gut eine Stunde nimmt sie sich für jede Patientin und jeden Patienten, der in ihre Praxis in Wiesbaden Sonnenberg kommt. Die Kosten werden von den meisten gesetzlichen und privaten Krankenkassen ganz oder anteilig übernommen.

Adressen & Kontakt

Adresse und mehr Informationen zur Praxis für Osteopathie Luisa Glaser.

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