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Interview

Logopädische Behandlung von Parkinson

Damit die Stimme auch langfristig stark bleibt

ca. 5 Minuten

*Aus Gründen der Lesbarkeit verwenden wir die männliche Form, meinen jedoch Menschen aller Geschlechter.

Mädchen auf den Gebieten
„Ich verstehe dich leider nicht“. Den Satz bekommen Parkinsonerkrankte nicht selten zu hören. Ursache sind Funktionsstörungen des Sprech-, Stimm- und Schluckapparats: Eine leise Stimme, eine undeutliche Aussprache, reduzierte Mimik und Schluckbeschwerden verringern die Lebensqualität, das seelische Wohlbefinden und können lebensbedrohlich werden. Wie logopädische Therapien wirksam und nachhaltig gegensteuern, den Verlauf abbremsen und sogar Rückgängig machen können, erklären Mirjam Gauch und Julia Hirschwald.

„Lautstärke ist ein wichtiger Faktor“

Gesundheitskompass für Wiesbaden: Raubt Parkinson die Kraft, laut und deutlich zu sprechen?
Julia Hirschwald: Im Verlauf der Erkrankung spielt abnehmende Muskelkraft sicherlich eine  Rolle. In frühen Stadien haben Sprech- und Stimmstörungen jedoch  meistens senso-neurologische Ursachen. Das bedeutet, dass Patienten ihre  reduzierte Stimmlautstärke selbst meist nicht wahrnehmen. Sie hören  sich vielmehr als laut und deutlich. Werden sie von ihren  Gesprächspartnern dann aufgefordert, etwas lauter zu wiederholen,  gelingt das auch häufig.

Gesundheitskompass: Bei der Behandlung geht es also darum, die Selbstwahrnehmung an die Fremdwahrnehmung anzugleichen?
Mirjam Gauch: Genau. Das ist eine Besonderheit der Therapie bei Patienten mit Parkinson.

Gesundheitskompass: Bei Parkinson ist ein wirksamer Ansatz LSVT LOUD, eine zertifizierte  Therapie zur Behandlung von Dysarthrien und Dysphonien, so die  Fachwörter für Sprech- und Stimmstörungen. LSVT LOUD legt den Fokus auf  das Training der Stimmlautstärke. Warum ist sie besonders wichtig?
M.G.: Wir versuchen, den Fokus so einfach wie möglich zu halten, da bietet  sich Lautstärke an. Doch durch unser körperliches, stimmliches und  sprecherisches Vorbild können wir noch mehr verbessern.

Gesundheitskompass: Welche Übungen sind das?

J.H.: LSVT  ist ein sehr intensives Trainingsprogram. Vier Wochen lang sehen wir  Patienten viermal pro Woche, jeweils für 60 Minuten. Zusätzlich üben sie  täglich zu Hause. Insgesamt werden die Stimmlautstärke, die  Tonhaltedauer und die Atmung, die Intonation und der Übertrag ins  Sprechen geübt.
M.G.: Tatsächlich  höre ich oft, ,Sie machen noch eine Sängerin aus mir’, aber darum geht  es nicht. Wenn wir zum Beispiel wiederholt ein A laut und lang tönen  lassen, sollen Patienten dadurch die Tonhaltedauer und Ausdauer  trainieren. Und das Gefühl für die laute Stimme soll verinnerlicht  werden, damit Patienten sie im Alltag einsetzen können, ohne darüber  nachdenken zu müssen.

Gesundheitskompass: Schadet  es Menschen mit Parkinson denn, hin und wieder ohne logopädische  Anleitung mit der Lautstärke zu spielen, einen Urschrei auszuprobieren  oder lauthals zu singen?
M.G.: Leider  gibt es keine Patentrezepte. Die Symptome sind vielmehr indivduell. Ich  rate darum davon ab, selbst zu experimentieren. Man kann mit falsch  eingesetzten Übungen nämlich auch der Stimme schaden.
J.H.: Um einen nachhaltigen Erfolg zu erzielen, ist es am besten, sich so  früh wie möglich vom behandelnden Arzt zu einer Logopädin überweisen zu  lassen. Je früher Patienten zu uns kommen, desto effektiver und  nachhaltiger können wir helfen.

Gesundheitskompass: LSVT  ist nicht die einzige Methode. Es gibt Therapien, bei denen zum  Beispiel das Nachsprechen von Zungenbrechern oder Atemübungen wichtige  Rollen spielen. Was halten Sie davon?
M.G.: Bestimmt haben Behandler und Patienten damit gute Erfahrungen gemacht  und Erfolge erzielt. Es gibt dazu allerdings keine wissenschaftlichen  Studien, die die Wirksamkeit belegen, und auch nicht darüber, wie lange  die Verbesserungen anhalten.

Gesundheitskompass: Können Menschen mit Parkinson, wie Schlaganfallpatienten, auf eine spontane Besserung ihrer Dysarthrie hoffen?
J.H.: Nein,  in der Regel nicht. Sind Stimme und Sprechen verändert, stellen sie  sich nicht dauerhaft von allein wieder her. Für alle Symptome bei  Parkinson gilt, dass sie sich zwar zeitweise verbessern oder sogar  verschwinden können. Der Gesamtverlauf der Erkrankung ist jedoch  degenerativ, das heißt, sie schreitet voran und ist bisher nicht  aufhaltbar und heilbar.

Gesundheitskompass: Neben Dysarthrien behandeln Sie auch Dysphagien, Schluckstörungen. Wirkt sich LSVT auch darauf positiv aus?
J.H.: Ja,  auch das konnte durch kleine Studien belegt werden. Es sind ja die  selben Muskeln und Nerven im Hals beteiligt. Aber LSVT ist nicht die  primäre Therapie, wenn jemand mit schwerwiegenden Schluckbeschwerden zu  uns kommt, die durchaus lebensbedrohlich sein können.
M.G.: In solchen Fällen klären wir als erstes durch bildgebende Verfahren ab,  was genau im Hals los ist. Tritt die Störung bei Flüssigkeiten auf? Bei  bestimmten Nahrungsmitteln? Ab welchen Mengen? Basierend auf der  Diagnostik, wählen wir die Behandlungen und Übungen entsprechend aus und  passen sie individuell an.

Gesundheitskompass: Gibt es eine Übung, die generell das Schlucken erleichtert?
J.H..: Auch da gibt es keine pauschale Antwort. Vielen hilft es, das Kinn beim  Schlucken in Richtung Brustbein zu senken, denn durch die Position kann  es zum Beispiel leichter sein, Flüssigkeiten im Mund zu kontrollieren.  Doch bei einigen ist das Manöver, das wir Chin-Tuck nennen,  kontraproduktiv.
M.G.: Das  ist beispielsweise bei Betroffenen der Fall, bei denen die orale  Boluskontrolle, so der Fachbegriff für die Kontrolle über Nahrung oder  Flüssigkeiten im Mund, intakt ist, die jedoch eher Schwierigkeiten  haben, die Nahrung abzuschlucken. Das Chin Tuck-Manöver erschwert ihnen  das zusätzlich.

Gesundheitskompass: Welche Dysphagie-Therapien bei Parkinson gibt es?
J.H.: Eine Methode, die das Schlucken verbessern kann, ist EMST, ein  Ausatemtraining mit Hilfe eines kalibrierten Geräts. Ein weiterer viel  versprechender Ansatz sind Therapien, die nicht mehr allein auf die  Kräftigung der Muskeln setzen, die für das Schlucken gebraucht werden.  Der Schwerpunkt liegt vielmehr auf der zeitlichen Koordination des  Zusammenspiels der Muskeln und dem gezielten Einsatz von Kraft. Wir  nennen das Skill Training.

M.G.: Menschen mit Dysphagie sollten möglichst im ersten Schritt eine  Schluckdiagnostik mit bildgebenden Verfahren machen lassen, am besten  durch Logopäden oder, falls das nicht möglich ist, durch zertifizierte  Ärzte. Im zweiten Schritt folgt die individuell angepasste logopädische  Therapie.

Gesundheitskompass: Sie sind beide aktiv im Parkinsonnetz RheinMain+ (gesprochen: plus). Wie profitieren Ihre Patienten davon?
J.H.: Wir tauschen Erfahrungen und Wissen mit Kollegen und Betroffenen aus,  denen wir ohne das Netz nicht begegnet wären. Und wir entwickeln  fachübergreifend gemeinsam Konzepte, die die Kommunikation untereinander  und letztendlich die Behandlungen optimieren und die Lebensqualität  verbessern. Derzeit erarbeiten wir eine Quickcard Dysphagie, ein  Dokument, das die Kommunikation zwischen behandelnden Teams und  sektorenübergreifend verbessert.
M.G.: Das kann man sich als Vordruck vorstellen, in den Behandler  standardisiert Symptome, Beobachtungen und Therapien für jeweils einen  Patienten oder Patientin eintragen. Anhand der Informationen können wir  uns interdisziplinär einfacher abstimmen, zum Beispiel können der  Neurologe oder die Neurologin direkt erkennen, wenn auf Grund der  logopädischen Diagnostikergebnisse die Medikation angepasst werden muss.

Gesundheitskompass: Die Quickcard macht die individuelle Therapie effektiver?
M.G.: Genau. Das ist das Ziel.

Gesundheitskompass: Sie sind jung. Die meisten Menschen mit Parkinson könnten ihre Eltern, Groß- und Urgroßeltern sein. Stoßen Sie auf Skepsis?
M.G.: Meine  Erfahrung ist, dass gerade Menschen mit Parkinson sehr offen dafür  sind, sich auf junge Behandlerinnen einzulassen. Vertrauen und die  Chemie sind wichtig für den Erfolg der Therapie.
J.H.: Ich  hatte einmal einen Patienten, der anfangs skeptisch reagierte. Er war  in jungem Alter an Parkinson erkrankt, noch berufstätig und aktiv. Bei  ihm dauerte es ein paar Therapieeinheiten, bis er aufgetaut ist. Aber  danach war das Vertrauen in meine fachliche und menschliche Kompetenz  vielleicht sogar größer als normal. Wir haben uns jedenfalls sehr gut  verstanden.

Gesundheitskompass: Welche Fähigkeiten erfordert Ihr Beruf, neben Fachwissen?
J.H.: Empathie, Geduld, aufrichtiges Interesse an Menschen.
M.G.: Psychologie  und Kommunikation sind Bestandteile unserer Ausbildung. Es kann sehr  beängstigend und frustrierend sein, die Stimme zu verlieren oder damit  zu leben, dass einem ständig Speichel aus dem Mund läuft und man sich  regelmäßig verschluckt. Logopäden brauchen Feingefühl, eine positive  Grundhaltung und die Fähigkeit, Lob auszusprechen, das motiviert und  Selbstvertrauen gibt.
J.H.: Wichtig ist auch, unsere Grenzen zu kennen, zu wissen, wann Patienten  sich an Therapeuten anderer Fachrichtungen oder Ärzte wenden sollten.  Und Sätze und Gespräche, die wir beim LSVT einüben, können sehr  persönlich sein. Auch seelisch und emotional müssen wir auf einen  professionellen Abstand achten.

Gesundheitskompass: Sollte man die Therapeutin also auch nach Sympathie auswählen?
M.G.: Hat man die Wahl bei gleicher Qualifikation, dann ja, unbedingt!
J.H.: Die Behandlung soll ja auch Spaß machen. Das wird schwierig, wenn man die Behandlerin nicht mag.

Gesundheitskompass: Welche Momente in ihrem Berufsalltag erleben Sie als besonders erfüllend?
M.G.: Wenn  ich Sätze höre wie: ,Ich kann wieder telefonieren.’ Oder neulich hat  ein Patient erzählt, dass er sich seit langem wieder getraut hat, sich  in der Gruppentherapie am Gespräch zu beteiligen. Es ist sehr bewegend  mitzukriegen, dass sich die Behandlung positiv auf die Lebensqualität  auswirkt.
J.H.: Und es ist so schade, dass es noch immer viele Menschen mit Parkinson  gibt, die keine logopädische Behandlung in Anspruch nehmen. Neulich im  Restaurant saßen zwei ältere Herren neben mir. Einer von ihnen hatte  vermutlich Parkinson. Wir kamen ins Gespräch, doch leider konnte ich ihn  nicht verstehen. Aus Höflichkeit habe ich nach Gefühl geantwortet. Aber  wahrscheinlich haben wir aneinander vorbeigeredet. Das ist sehr schade  und auch frustrierend. Das kann Logopädie ändern.
M.G.: Sie verbessert nicht nur das Sprech- und Schluckvermögen. Sie hilft,  verstanden zu werden, sich selbst und anderen Gehör zu verschaffen und  sich nicht einsam zu fühlen.

Gesundheitskompass: Sehr geehrte Frau Gauch, sehr geehrte Frau Hirschwald, vielen Dank für das Gespräch!

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Foto: privat

Mirjam Gauch  ist staatlich anerkannte Logopädin an der Klinik für Psychiatrie  und Psychotherapie in Mainz und wissenschaftliche Projektmitarbeiterin  der HAWK Hochschule für angewandte Wssenschaft und Kunst, Göttingen

Foto: privat

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Julia  Hirschwald, ebenfalls staatlich anerkannte Logopädin, ist Doktorandin am  Trinity College Dublin und Leiterin der AG Logopädie im Parkinson  Netzwerk RheinMain+, bei der auch Mirjam Gauch Mitglied ist.

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