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Erfahrungsbericht

Parkinson ist nicht ansteckend. PingPongParkinson schon

​Bei der Diagnose im Februar 2013 war ich erst 38 Jahre alt, und unsere Söhne waren klein, sechs und neun. Sie haben damals gar nicht begriffen, was das heißt: Papa hat Parkinson. Meine Frau und ich haben einen Abend lang geweint, und danach ging das Leben weiter wie bisher. Sie hat halbtags gearbeitet, ich ganztags als Jurist in einem mittelständischen Betrieb nahe unserer Heimatstadt Nordhorn. In meiner Freizeit bin ich weiterhin zum Tischtennistraining gegangen. Der Sport und das Vereinsleben spielen seit meinem zehnten Lebensjahr wichtige Rollen für mich. Und heute sind sie wichtiger denn je.

ca. 5 Minuten

*Aus Gründen der Lesbarkeit verwenden wir die männliche Form, meinen jedoch Menschen aller Geschlechter.

​„Tischtennis ist Therapie mit Vergnügen“

parkinson ping pong

Foto:PingPongParkinson Deutschland e.V. 


Thorsten Boomhuis ist Mitinitiator und Erster Vorsitzender von PingPongParkinson Deutschland e.V., gegründet 2020. Inzwischen gibt es bundesweit mehr als 40 Gruppen mit rund 820 Mitglieder. Studien bestätigen die positiven Auswirkungen des Sports auf Symptome, Verlauf und Lebensqualität.

Mein Parkinson hat sich beim Tischtennistraining angekündigt, zwei Jahre vor der Diagnose 2013, das kann ich im Nachhinein so sagen. Die Leistungen aller Spieler werden mit einem Kurvendiagramm dokumentiert, so auch meine und die meines Sportkumpels. Unsere Linien verliefen über Jahre fast synchron, wir wurden beide kontinuierlich besser. Ganz plötzlich im Frühjahr 2011 begann seine Kurve, weiter nach oben zu klettern, während meine steil abfiel. Damals dachte ich, es sei ein Formtief, aber so recht erklären konnte ich es mir nicht.
2012 bekam ich Nackenschmerzen. Nach acht Massagen sind sie nicht besser geworden und mein Therapeut sagte: ,Ich bin ziemlich sicher, dass du Parkinson hast.` Meine Reaktion war: ,Und ich bin ziemlich sicher, dass du eine Macke hast.` Ein paar Wochen später haben der Neurologe und ein Radiologe seinen Verdacht bestätigt. 
Ich habe die Krankheit gut sechs Jahre lang ignoriert. Klar, ich habe Medikamente bekommen. Aber ich habe sie oft nach Gefühl eingenommen, wenn ich Symptome spürte, Unbeweglichkeit, Müdigkeit. Tremor zählt tritt bei mir bis heute nur selten auf.

 

Durchweg alle, die bei uns spielen, machen die Erfahrung, dass sich Symptome schon nach kurzer Zeit deutlich bessern. Und viele können ihre Medikation reduzieren. Inzwischen findet Tischtennis bei fast ausnahmslos allen Parkinsonexperten Anerkennung. Der Sport ist sogar in der Parkinsonkomplextherpie im Einsatz, zum Beispiel an der Klinik in Osnabrück, wo ich behandelt werde.
Es gibt kleinere Studien aus Japan und Schweden, die die positiven Auswirkungen wissenschaftlich belegen. Sprechen, Schreiben, Ankleiden, Aufstehen aus dem Bett, dem Auto oder einem tiefen Stuhl, Gehen und die Balance halten, alles fällt leichter. Man sabbert weniger, spricht lauter, zittert weniger. Die Mimik wird lebendiger, die Haltung aufrechter. Eine große Studie, die eine breite Öffentlichkeit erreicht, wird wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen.
PingPongParkinson ist eine weltweite Bewegung mit Spielergemeinschaften auf fast allen Kontinenten. Der Musiker Nenad Bach hat sie 2017 im Staat New York ins Leben gerufen. Er hat es Tischtennis zu verdanken, dass er nach seiner Diagnose wieder Klavier und Gitarre spielen kann. Er will erreichen, dass möglichst viele Menschen vergleichbare Erfolge erzielen.
Als ich davon hörte, dachte ich, na, dann probier´ ich es halt auch mal und begann mit einer Gruppe. PingPongParkinson gibt es in Deutschland seit 2020. Wir haben heute mehr als 820 Mitglieder in über 100 Stützpunkten in Tischtennisvereinen in fast allen Bundesländern. Leider werden wir nicht als Selbsthilfeorganisation anerkannt. Die bürokratische Begründung ist, vereinfacht gesagt, dass wir zu viel Sport treiben.


Wir beziehen keine Selbsthilfeförderung. Mit dem Mitgliedsbeitrag von zwölf Euro pro Jahr und Person kommen wir nicht weit. Wir sind auf Spenden und Sponsoren angewiesen, auch aus der Pharmaindustrie. Zum Beispiel hat uns das Wiesbadener BioPharma-Unternehmen AbbVie bei unserer letzten Weltmeisterschaft in Pula maßgeblich unterstützt.
Ja, wir treiben viel Sport und nehmen ihn auch Ernst. Gerade das zählt zu unseren Stärken. Das fangt damit an, dass der 45jährige Familienvater aus dem Haus geht und nicht sagen muss: ,Ich geh zur Selbsthilfe.` Er sagt vielmehr: ,Ich geh zum Sport.` Das gibt ein ganz anders Gefühl. Alle unsere Mitglieder berichten, dass es ihnen auch seelisch und mental besser gehe, seit sie trainierten.
90 Prozent unserer Mitglieder sind keine Tischtennisspieler, sondern beginnen nach der Diagnose. Nicht wenige fahren mit dem Rollstuhl zur Platte. Aber wenn es los geht, stehen sie auf und vergessen ihn. Die Krankheit tritt in den Hintergrund, auch bei mir. Wenn ich mich vor einem Match steif fühle, kann ich mich darauf verlassen, dass ich nach dem Einspielen wieder normal beweglich bin. Ich brauche gefühlt nur den Schläger in die Hand zu nehmen.
Das Geräusch des Balls auf der Platte gibt einen Takt vor, der die Koordination erleichtert. Den Effekt nutzen viele Menschen mit Parkinson. Ein Beispiel ist das Brotschmieren, das oft schwerfällt. Es wird viel leichter, wenn man das Messer im Rhythmus eines Lieds bewegt, das man singt, zum Beispiel ,Mussi denn, muss I denn, zum Städele hinaus`.
Ein anderes Beispiel ist der Gang. Wenn ich um zehn Prozent schneller gehe als mein normales Tempo, schwingt mein Arm wieder mit, der ansonsten herunter hängt. Symptome lassen sich austricksen, indem man Gewohnheiten bricht. Dazu setzen wir Cues ein, auf Deutsch Schlüsselreize. Sie können veränderte Bewegungsabläufe und Rhythmen sein, aber auch optische Reize wie der weiße Ball, der gegen die dunkle Oberfläche prallt.
Die meisten Neulinge im Tischtennis haben Probleme mit dem Aufschlag, den Ball hoch zu werfen und ihn in der Luft zu treffen. Lassen sie den weißen Ball jedoch erst auf den dunklen Tisch prallen, schaffen sie es mühelos, den Ball in der Luft zu treffen.

Für wen ist PingpongParkinson geeignet? Ich sage immer, für jeden, der den Weg in die Halle schafft. Während des Trainings wird die ganze Zeit gequasselt. Nur etwa ein Drittel der Gespräche dreht sich um die Krankheit. Es entstehen viele echte Freundschaften. Wir treffen einander zwei dreimal die Woche, um einander Bälle zuzuspielen, und zwar so, dass wir sie kriegen. Allein das bricht schnell das Eis. Ausnahmen sind Turniere. Da geht es darum, dass der andere den Ball möglichst nicht bekommt. Aber auch Ehrgeiz verbindet, es entsteht Teamgeist.
Es ist unmöglich, bei uns zu spielen ohne dabei immer wieder herzhaft zu lachen. In Pula, wo im Sommer 2022 die Weltmeisterschaft ausgetragen wurde, hatten wir besonders viel Spaß, sogar noch auf dem Rückflug. Vor dem Start bat die Stewardess zwei Teamkolleginnen, den Notausgangsitz frei zu machen, weil dort gesunde, kräftige Menschen sitzen müssten, so die Vorschrift. Sie suchte sich zwei Männer in den besten Jahren aus, die erwiderten: ,Wir haben Parkinson.’ So erging es ihr vier Male, bis sie rief: ,Gibt es hier jemanden ohne Parkinson?
Es  gibt Sicherheit, wenn Menschen mit Parkinson gemeinsam reisen. Wir alle hatten unsere Medikamente doppelt und dreifach dabei, im Handgepäck und in aufgegebenen Koffern. Man will nämlich auf keinen Fall ohne seine Medizin stranden. Es war gut zu wissen, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit Leute geben wird, die die gleichen Pillen einnehmen und einem im Notfall aushelfen könnten. Ein Tipp für Auslandsreisen, den ich Betroffenen mitgeben will, ist, niemals Medikamnte aus der Originalverpackung zu nehmen. Das erhöht das Risiko, dass sie an der Grenze konfisziert werden.


Erst seit Frühjahr 2022 nehme ich meine Medikamente regelmäßig ein. Es geht mir seither besser. Bis heue ist Parkinson bei uns zuhause kein großes Thema, und das ist gut so. Unser Ältester ist 19 Jahre alt und sehr sportlich. Es ist nicht lange her, dass ich ihn im Tennis geschlagen habe. Die Kiste Limo, um die es ging, musste er bezahlen. 
Ich bin mit PingPongParkinson Mitglied im Parkinsonnetz Osnabrück plus. Bei jedem Treffen entwickeln wir Ideen, wie wir die Versorgung von Patienten mit Parkinson verbessern können. Meine jüngster Vorschlag ist eine Notfallkarte, die bei Radiologen ausliegen sollte. Viele, wie ich auch, erhalten dort die Gewissheit. Ich musste danach 30 Kilometer mit dem Auto nach Hause fahren und mein nächster Arzttermin war sechs Wochen entfernt. Es ist leider der Normalfall, dass man in dieser entscheidenden Zeit allein gelassen wird.
Auf der Karte würde stehen, dass Parkinson kein Todesurteil ist, dass das Leben vielmehr ohne große Einschränkungen weiter geht und sogar bereichert werden kann. Dazu Adressen von Gruppen und vielleicht von Paten, erkrankten Menschen, die ihre Erfahrungen an Neulinge weiter geben wollen. So eine Karte hätte mir damals sehr geholfen.
Welche Ratschläge würde ich als Pate geben, neben, ,Spiel auf jeden Fall regelmäßig Tischtennis!`? Meine Erfahrungen sind, dass sich meine Lebensqualität noch einmal sehr verbessert hat, seit ich  Medikamente regelmäßig nehme und seit ich weniger arbeite, nämlich 15 statt 50 Stunden pro Woche. Studien besagen, dass  Stress, neben Einsamkeit, der zweite große Faktor ist, der Symptome verschlechtert
Ich bin, was Stress angeht, lange nicht mehr so belastbar wie vor zehn Jahren, vor der Diagnose, und auch lange Autofahrten sind nicht mehr möglich, weil ich schnell müde werde. Aber dafür hat mir die Krankheit meine Schüchternheit genommen. Die Leute sagen mir inzwischen nach, ich sei eine Rampensau, die aus dem Stegreif ein Publikum unterhalten kann.
Mein Leistungsdiagramm im Tischtennis zeigt aktuell, dass ich fast wieder auf dem Stand vor der Diagnose bin. Meine Kurve steigt kontinuierlich an, obwohl ich krankheitsbedingt als Rechtshänder die Spielhand wechseln musste. Ich habe nach zehn Jahren Parkinson meinen Kumpel überholt, und zwar mit links. Darauf bin ich stolz.

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