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Interview

Allergien - Hilfe gegen Pollen und Co

Alles im grünen Bereich? Wann fliegt was?

Erdbeeren, Heu, Staubmilben, Schmuck – kaum ein Stoff, der keine Beschwerden auslösen kann. Mehr als 20 Prozent der Kinder und 30 Prozent der Erwachsenen leiden hierzulande an mindestens einer Allergie, so das Robert-Koch-Institut. Unser Expertengespräch informiert über Ursachen, Therapien und Prävention. Außerdem finden Sie einen Pollenflugkalender, einen Pollenmonitor, Informationen und Adressen für Betroffene.

ca. 7 Minuten

*Aus Gründen der Lesbarkeit verwenden wir die männliche Form, meinen jedoch Menschen aller Geschlechter.

Foto: wix

Allergie Heuschnupfen

„Eine Allergie ist immer auch eine gute Nachricht“

Foto: ZRA-Wiesbaden

Prof Klimek

Prof. Dr. med. Ludger Klimek ist Leiter des Zentrums für Rhinologie und Allergologie in Wiesbaden, Facharzt für HNO-Heilkunde, Allergologie, Umweltmedizin, Plastische Operationen und Präsident des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen.

Gesundheitskompass für Wiesbaden: Hautreaktionen, Atembeschwerden, Schmerzen, Mattigkeit – kaum ein Symptom, hinter dem sich keine Allergie verbergen kann. Auch Krankheiten wie Asthma und Neurodermitis können allergiebedingt sein. Betroffene leiden und dürften darum erst einmal keine gute Nachricht erkennen. Können Sie sie bitte kurz erläutern?
Prof. Dr. med. Ludger Klimek: Allergien sind Überreaktionen unseres Immunsystems. Es greift Pollen, Nahrungsmittel, Insektengift, Milbenkot und andere Stoffe an, die eigentlich ungefährlich für uns sind. Das bedeutet, dass das Immunsystem im Fall einer Allergie stark und aktiv ist, und das ist ja erst einmal auch etwas Gutes. Schlecht ist, dass die Abwehr fehlgeleitet ist und dadurch selbst zur Gefahr wird.
Gesundheitskompass: Eine Therapie leitet demnach die Abwehr um, zurück in richtige Bahnen?
Hygiene nicht zu übertreiben, um das Immunsystem der Kinder zu trainieren?
Prof. Klimek: Sehr verkürzt kann man das so sagen. Allergien lassen sich gut behandeln, vor allem wenn man frühzeitig damit beginnt, ist die Chance sehr groß, dass sie nicht chronisch werden.
Gesundheitskompass: Wenn Allergien auf ein aktives Immunsystem hindeuten, lässt sich dann daraus schließen, dass ein eher passives und schwaches Immunsystem vor Allergien schützt?
Prof. Klimek: Ganz so einfach ist es nicht, vor allem, weil ein schwaches Immunsystem viele gravierende Probleme verursacht. Allerdings stimmt es, dass in Ländern mit einem niedrigeren Gesundheitsniveau Allergien vergleichsweise seltener auftreten. Auch in den Nachkriegsjahren, als die Menschen hungerten und in einem schlechteren Allgemeinzustand waren, lagen die Fallzahlen hierzulande niedriger.

Gesundheitskompass: Man könnte also schlussfolgern, dass ein Immunsystem, das mit Krankheitserregern beschäftigt ist, weniger dazu neigt überzureagieren?

Prof. Dr. med. Ludger Klimek: Es gibt Studien, die darauf hindeuten.

Gesundheitskompass: Basiert darauf der Rat, den einige Ärzte Eltern geben, es mit der Hygiene nicht zu übertreiben, um das Immunsystem der Kinder zu trainieren?
Prof. Klimek: Ja, man spricht vom Bauernhofeffekt. Eine allzu saubere oder gar sterile Umgebung ist kontraproduktiv für gesunde Kinder. Was Allergien angeht hilft es ihnen sicher mehr, als es schadet, wenn sie sich mal Erde in den Mund stecken oder den Familienhund streicheln und sich nicht direkt danach die Hände waschen. Bestehen bereits Allergien, gilt das natürlich nicht Dinge, auf die man allergisch ist.

Gesundheitskompass: In Zeiten der Pandemie ist Keimfreiheit lebenswichtig. Haben Sie einen Anstieg der Allergien beobachtet?
Prof. Klimek: Bislang nicht, aber so schnell geht das auch nicht. Wir sprechen hier eher von Effekten, die sich über einige Jahre oder sogar Jahrzehnte auswirken. In Pandemiezeiten waren für die Allergiezentren eher die Allergien auf die Impfstoffe ein Problem oder auch die Frage, ob ein Husten allergisch ausgelöst oder durch eine COVID-Infektion verursacht wird.

Gesundheitskompass: Gibt es coronakonforme Methoden, das Immunsystem zu trainieren?
Prof. Klimek: Geeignet sein können Nahrungsergänzungsmittel, die Lipocaline enthalten, wie sie in unbehandelter Kuhmilch vorkommen, und es gibt weitere immunstimulierende Stoffe. Aber man sollte sie nur nach Rücksprache mit einer Expertin oder einem Experten verwenden.

Gesundheitskompass: Wie kann man verhindern, dass eine Allergie bei Kindern überhaupt erst ausbricht?
Prof. Klimek: Auch aus Sicht der Allergieprävention ist es am Besten, Kinder möglichst lange keinem Tabakrauch auszusetzen, auch nicht passiv. Außerdem verringert sich das Allergierisiko, wenn Babys vier bis sechs Monate lang ausschließlich gestillt werden. Die Mutter sollte sich ausgewogen vitamin- und mineralstoffreich ernähren.

Gesundheitskompass: Sollten Stillende auf bestimmte Lebensmittel verzichten?
Prof. Klimek: Nein, es gibt keine wissenschaftlichen Beweise, dass sich Allergien auf diesem Weg übertragen. Worauf Eltern achten sollten, ist, die Beikost schrittweise einzuführen, und nicht zu viele unterschiedliche neue Lebensmittel auf einmal anzubieten.

Gesundheitskompass: Haustiere können Allergien auslösen. Muss der Hund gehen, wenn das Baby kommt?
Prof. Klimek: Wenn es in der Familie keine Allergien gibt, braucht man sich keine Sorgen zu machen. Liegt jedoch eine genetische Disposition vor, sollten Eltern gegebenenfalls vorher mit einem Allergologen sprechen. Es gilt aber nicht mehr generell, dass in Allergikerfamilien keine Haustiere gehalten werden sollten, sondern erst dann, wenn wirklich ein Familienmitglied auf Tierhaare allergisch ist.

Gesundheitskompass: Katzenhaarallergien sind verbreiteter als Hundehaarallergien. Ist Hundehaar generell allergikerfreundlich?
Prof. Klimek: So allgemein kann man es nicht sagen, es gibt aber Rassen mit mehr und weniger allergieauslösenden Haaren. Insgesamt sind aber mehr Menschen auf Katzen allergisch, als auf Hunde. In den meisten Fällen lässt sich ein geeignetes Haustier finden.

Gesundheitskompass: Wie können Erwachsene Allergien vorbeugen?
Prof. Klimek: Mit einer gesunden, frischen, ausgewogenen Ernährung und ausreichend Bewegung macht man einiges Richtig. Und idealerweise kommt man gar nicht erst mit dem auslösenden Stoff in Berührung! Wer eine familiäre Disposition hat, sollte darauf achten, potenzielle Allergene zu vermeiden, neben Tierhaaren, zum Beispiel Duftstoffe, Zusatzstoffe in vorverarbeiteten Nahrungsmitteln, Metalle, Kunststofffasern oder auch Wolle und Hausstaub.

Gesundheitskompass: Das häufigste Allergen sind Pollen, die von Frühling bis Herbst fliegen, und Heuschnupfen oder sogar Asthma auslösen können. Wie lassen sie sich vermeiden, ausgenommen durch eine Flucht ins Hochgebirge, in Wüsten, Polarregionen oder auf ein Boot, fernab der Küsten?
Prof. Klimek: Ganz vermeiden kann man Pollen in unserer Region nicht. Aber Pollenflugkalender oder Allergie-Apps informieren über die Arten und Mengen der Pollen, so dass Betroffene sich gezielt schützen können und eine gute Übersicht über ihre Beschwerden und Behandlung erhalten.

Gesundheitskompass: Wie kann man sich hierzulande vor Pollen schützen?
Prof. Klimek: Man sollten zum Beispiel möglichst im Haus bleiben. Lüften ist in der Stadt nur morgens zwischen 6 und 8 Uhr am besten und im Umland zwischen 19 Uhr und Mitternacht. Dann sind die Pollenbelastungen jeweils am niedrigsten. Besondere Klimaanlagen und Geräte, die die Luft reinigen, und auch FFP2-Masken, wie sie zum Schutz vor Corona getragen werden, können Symptome mildern und verringern.

Gesundheitskompass: Ist Wiesbaden eigentlich ein guter Wohnort für Pollenallergiker?

Prof. Klimek: Wiesbadens Fauna und Klima liegt, was den Pollenflug betrifft, im deutschen Durchschnitt. Aber die Versorgung für Allergiker ist hier besonders gut und neue Behandlungen, zum Beispiel als Teilnehmerin in Studien, werden rasch verfügbar, nicht zuletzt durch das Zentrum für Rhinologie und Allergologie, das hier seinen Sitz hat.

Gesundheitskompass: Die Frage, die Allergiker zur Zeit besonders bewegt lautet, ist mein Risiko erhöht, an Corona zu erkranken oder einen schweren Verlauf durchzumachen?
Prof. Klimek: Ganz klar nein. Ansteckungs- und Sterberisiko sind durch Allergien nicht erhöht, und eine COVID-Erkrankung verläuft nicht schwerer. Es ist auch erwiesen, dass die Viren nicht an Pollen haften. Die Zahl der Coronainfektonen nimmt also bedingt durch die Pollensaison nicht zu.

Gesundheitskompass: Viele Pollenallergiker reagieren während der Pollensaison auch auf Äpfel, Nüsse, Erdbeeren und einige Gewürze allergisch. Wie lassen sich diese sogenannten Kreuzallergien verhindern?
Prof. Klimek: Die genannten Lebensmittel enthalten ähnliche Eiweiße wie Pollen. Dem Immunsystem, in dem Fall in Gestalt der sogenannten Immunglobulin-E-Antikörper, ist es sozusagen egal, woher die Eiweiße stammen. Es reagiert in jedem Fall mit Alarm. Betroffene sollten darum Nüsse und Gewürze meiden und das betroffene Obst nur gekocht essen. Erhitzen verändert die Eiweißstruktur so, dass das Immunsystem nicht mehr angreift. Man kann natürlich auch auf andere Obstsorten ausweichen.

Gesundheitskompass: Sollten Allergiker vorsichtshalber dauerhaft eine entsprechende Diät einhalten?
Prof. Klimek: Nein. Wer aus einem Verdacht heraus auf bestimmte Lebensmittel verzichtet, kann eine Allergie sogar verschlimmern. Eine Diät, bei der Lebensmittel gezielt gemieden werden, ist ausschließlich nach einer gesicherten Diagnose sinnvoll.

Gesundheitskompass: Wer also beobachtet, dass sich Asthma, Neurodermitis, Heuschnupfen und andere allergiebedingte Erkrankungen und Beschwerden nach einer Mahlzeit oder einem Kontakt verschlechtern, sollte nicht experimentieren, sondern zu einer Expertin oder einem Experten gehen. Was erwartet einen dort?
Prof. Klimek: Erst einmal ein ausführliches Gespräch über die Symptome und den Verlauf der Erkrankungen. Betroffene oder Eltern von betroffenen Kindern werden häufig gebeten, ein Allergie-Tagebuch zu führen. Es folgen Hauttestungen und Bluttestungen, eventuell auch sogenannte Provokationstests und schließlich die Ausarbeitung von Diäten oder Verhaltensweisen.

Gesundheitskompass: Es kommt auch vor, dass atopische Erkrankungen und Allergien, von allein verschwinden. Wie wahrscheinlich ist das, und wie lässt sich das erklären?
Prof. Klimek: Es kommt vor, allerdings nicht häufig. Wir wissen aus Studien, dass sich im Laufe von zehn Jahren bei 80 Prozent der Betroffenen die Allergie verschlechtert und sie nur bei zehn Prozent verschwindet.

Gesundheitskompass: Lassen sich Allergien heilen oder ist es nur möglich, die Symptome in den Griff zu bekommen?
Prof. Klimek: Moderne Immuntherapien als Weiterentwicklung der Hypo- oder Desensibilisierungen können tatsächlich aus einem allergischen ein gesundes Immunsystem machen. Die Wirkung hält oft über viele Jahre oder sogar Jahrzehnte und dann kann man wirklich von einer Allergieheilung sprechen. Die Art und Weise der Anwendung und vor allem die individuelle Anpassung auf die jeweilige Allergiesituation des Patienten ist hierbei entscheidend.

Gesundheitskompass: Hand auflegen, Umschläge mit Haferkleie, Akupunktur, Bioresonanz, Klangschalentherapie, bei der man sich wohlklingenden Tönen aussetzt, Tinkturen aus Nachtkerzenöl, Pyramiden unter dem Bett, viele Allergiker suchen Hilfe bei alternativen Heilmethoden. Gibt es welche, mit denen Sie gute Erfahrungen gemacht haben?
Prof. Klimek: Ja, tatsächlich hat die Akupunktur inzwischen ihre Wirksamkeit bei Allergien unter Beweis gestellt. Sie ist allerdings sehr aufwendig, auch was die Zeit betrifft, und daher nicht unbedingt für jeden geeignet.

Gesundheitskompass: Welche Rolle spielt Stress? Sind Stresspickel und brennende rote Wangen vor Aufregung schon eine Allergie? Gibt es eine Art Grenze, eine Definition?
Prof. Klimek: Stress spielt auch bei der Allergieentstehung eine große Rolle, denn das Immunsystem wird stark von Stressfaktoren beeinflusst. Allerdings gilt dies nicht für die genannten Akutsymptome. Wirklich allergische Veränderungen des Immunsystems lassen sich auch ausserhalb solcher Symptome nachweisen. Das Immunsystem ist in diesen Fällen also nachhaltig verändert.

Gesundheitskompass: Welchen Rat geben Sie Menschen, die Ihren ersten Allergieschub erleben, was gar nicht so selten im hohen Alter geschehen kann?
Prof. Klimek: Ich rate, einen Allergologen aufzusuchen und die Allergie abklären zu lassen. Aushalten und Abwarten sind keine guten Optionen, dadurch wird es meist nur schlimmer.

Professor Klimek, vielen Dank für das Gespräch!

Einen Überblick über die häufigsten allergieauslösenden Pollen gibt z.B. der Wetter-Online-Pollenflugkalender. Pollenflugkalender oder Allergie-Apps informieren über die Art und Menge der Pollen, so dass Betroffene sich gezielt schützen können.

Adressen und Informationen

Deutscher Allergie- und Asthmabund
Betroffene und Angehörige finden umfangreiche Informationen und konkrete Hilfe von Atemtechniken bis zu Koch- und Schönheitsrezepten. Mehr Informationen

Deutsche Haut- und Allergiehilfe e.V.
Behandelnde Ärzte und Betroffene haben die Initiative ins Leben gerufen. Sie stellt kostenloses Informationsmaterial zur Verfügung und bietet Tipps für den Alltag. Mehr Informationen

Ärzteverband Deutscher Allergologen e.V.
Seminare, Webinare, Interviews, darunter zum Thema Corona-Impfstoffe und Allergien, und viele andere Informationsquellen für Fachleute und Laien bietet der in Wiesbaden ansässige Verein. Mehr Informationen

Robert Koch-Institut
Wer ist besonders gefährdet, welche Beschwerden nehmen zu? Auf der Seite sind Fakten und Studien zu Allergien veröffentlicht. Mehr Informationen

MASK-air
Es gibt einige von von Fachleuten entwickelte Apps für Allergiker. Mask-Air hat sich in vielen Ländern seit Jahren bewährt. Als eine Art Logbuch hilft sie Menschen mit allergischer Rhinitis oder Heuschnupfen, Beschwerden einzuordnen, zu managen und mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt Behandlungen zu optimieren. Kostenlos für Apple- und Android-Geräte. Mehr Informationen und Download

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