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Osteopathie

Heilkraft der Hände

Gelenkschmerzen, Verdauungsprobleme, Migräne, Tinitus und viele weitere Erkrankungen behandelt Luisa Glaser mit Berührungen. In den USA, wo Osteopathie vor mehr als 140 Jahren erfunden wurde, ist sie längst Teil der Schulmedizin. Auch hierzulande findet die Therapieform immer mehr Anhänger. Die Wiesbadenerin erklärt, was Patientinnen und Patienten erwarten können – und warum auch Skepsis berechtig sein kann.

ca. 4 Minuten

*Aus Gründen der Lesbarkeit verwenden wir die männliche Form, meinen jedoch Menschen aller Geschlechter.

Foto:Wix

Massage

"Wir helfen dem Körper, sich selbst zu kurieren"

Koerperkultur Luisa Glaser

Foto: Praxis für Osteopathie Luisa Glaser

Luisa Glaser (Foto) ist Master of Science der Osteopathie. Studiert hat sie rund sechs Jahre lang an der Hochschule Fresenius in Idstein, der bislang einzigen in Deutschland, die Osteopathie als Bachelor und Master Studium anbietet. „Wir behandeln nicht Symptome, sondern Ursachen einer Erkrankung“, sagt sie. „Sie zu finden, erfordert eine Menge Wissen, Erfahrung und Zeit.“ Gut eine Stunde nimmt sie sich für jede Patientin und jeden Patienten, der in ihre Praxis in Wiesbaden Sonnenberg kommt. Die Kosten werden von den meisten gesetzlichen und privaten Krankenkassen ganz oder anteilig übernommen. Adresse und mehr Informationen zur Praxis für Osteopathie Luisa Glaser.

Bäuchlings ausgestreckt liegt die Patientin auf dem Behandlungstisch. Die Therapeutin lässt Finger und Handteller über Rippenbögen wandern, verharrt neben einem Brustwirbel, übt Druck aus, nimmt ihn wieder weg, wechselt die Seite. Von außen betrachtet geschieht wenig: ein bisschen Massage, ein paar Streicheleinheiten. Aber die Wirkung, glaubt man Osteopathen und vielen Betroffenen, kann immens sein: Demnach gibt es kaum Erkrankungen, bei denen osteopathische „Handarbeit“ keine Wirkung zeigen kann.

Die Erklärung, die die Osteopathie dafür liefert: Erkrankungen basieren auf Blockaden und Staus von Körperflüssigkeiten. Bringt man den Fluss mit besonderen Griffen wieder in Bewegung, kann der Körper sich selbst heilen. Und: Eine Erkrankung entsteht nur selten am Ort der Blockade; sitzt sie in der Niere, kann sie zum Beispiel Kopfschmerzen bereiten. Ebenso ist es möglich, dass sich eine Störung an der Halswirbelsäule etwa im Knie bemerkbar macht, als Tinitus oder Verdauungsprobleme.

Flüssigkeiten, Organe, Gelenke, Muskeln, Sehnen, Nerven – alle Teile des Körpers, so die Theorie weiter, sind verbunden und stehen in Wechselwirkung. Das Netz, das alles zusammen hält, bilden die Faszien. Das weiße, zähe Fasergewebe kennt jeder, der einmal ein Schnitzel oder einen Braten zubereitet hat. Faszien zu entspannen, zu entwirren und sie anzuregen, sich neu zu verknüpfen, sind eine Hauptaufgabe der Osteopathie.

Osteopathie wurde vor rund 150 Jahren von Dr. Andrew Taylor Still in Kirksville im US-Staat Missouri entwickelt und fand schnell zahlreiche Anhänger. 1892 gründete der Arzt in seinem Heimatstädtchen die American School of Osteopathy. Heute ist sein Therapieansatz in den USA ein eigenständiges Gebiet der Schulmedizin: Es gibt mehr als 30 Hochschulen, die ein Studium anbieten, und die rund 54 000 US-amerikanischen „Doctors of Osteopathy“ (D.O.) sind ihren Kollegen, den traditionellen „Medical Doctors“ (M.D.), gleichgestellt.

„Davon sind wir hier weit entfernt“, sagt Luisa Glaser. Der Beruf ist weder geschützt, noch ist die Ausbildung vereinheitlicht.

 „Man sollte darum vorsichtig sein, zum wem man geht.“ Ein Verzeichnis der qualifiziert ausgebildeten Osteopathen, die rund sechs Jahre lang Anatomie, Diagnostik, Biologie und andere medizinrelevanten Fächer studiert, Prüfungen abgelegt und nach dem Studium Fortbildungen absolviert haben, findet man beim Verband der Osteopathen in Deutschland (VOD) e.V. mit Sitz in Wiesbaden. Er hat derzeit rund 5400 Mitglieder, Tendenz steigend, und setzt sich unter anderem für ein Berufsgesetz für Osteopathen ein.

Es gibt drei Untergebiete der Osteopathie. Bei der craniosacralen Therapie werden Regionen vom Schädel (cranium) entlang der Wirbelsäule bis zum Kreuzbein (sacrum) stimmuliert. Die viszerale Therapie konzentriert sich auf die Organe und die strukturell-parietale Therapie auf Knochen, Gelenke, Muskulatur und das Gewebe. „Ich wende Kombinationen aller drei Gebiete an“, sagt Luisa Glaser, und dass es ganz auf die Patientin ankomme, welche Therapien sie auswähle.

Maximal sieben behandelt sie pro Tag, mindestens eine Stunde dauert jede Sitzung. Im Raum Wiesbaden liegt der Preis dafür zwischen etwa 100 und 140 Euro. Viele Kassen kommen ganz oder zumindest anteilig für die Kosten auf. Nicht wenige Experten kritisieren das Entgegenkommen auf die Wünsche der Versicherten als „Marketing-Tool“. Denn die Wirkung sei, wie bei der Homöopathie, nicht durch Studien belegt und kaum mehr als ein Placebo-Effekt.

Anhänger der Osteopathie entgegnen: Studien mit Vergleichsgruppen seien kaum durchführbar: Probanden in Vergleichsgruppen müssten von Schauspielern einer „scheinosteopathischen Behandlung“ unterzogen werden. Es gebe jedoch zahlreiche subjektive Studien, bei denen unter anderem Fragebögen ausgewertet werden, die eine Wirkung aufzeigten. Und, so ein weiteres Argument: Wenn man nur macht, was ohnehin bewiesen ist, kommt man nicht weiter – ein Prinzip, das für alle Gebiete gilt.

Nicht wenige Ärzte teilen die Ansichten und machen Fortbildungen in Osteopathie. Ihr Credo: Schulmedizin und die ganzheitlichen Ansätze müssen einander nicht widersprechen, sondern können sich ergänzen.

Es ist wie bei jedem Arztbesuch auch: Wer voller Skepsis in die Praxis kommt, verkleinert die Chance, dass eine Therapie wirkt. Wissenschaftler sprechen vom Nocebo-Effekt (siehe dazu auch unser Experten-Video). Eine vertrauensvolle Beziehung und eine positive Erwartungshaltung begünstigen dagegen Behandlungserfolge.

Luisa Glaser ist Osteopathin geworden, weil sie als Kind mit einer Sportverletzung eine Odyssee durch schulmedizinische Praxen erlebt hat. Geholfen hat ihr schließlich eine Osteopathin: „Sie hat nicht das betroffene Handgelenk, sondern meine Halswirbelsäule behandelt. Der Grund, warum ich nicht mehr Badminton spielen konnte, war eine Verspannung im Nacken, ausgelöst durch ein altes, längst vergessenes Schleudertrauma.“

Osteopathie ist Detektivarbeit. Um Ursachen von Erkrankungen auf die Spur zu kommen, spielen Gespräche wichtige Rollen: „Osteopathinnen müssen gut zuhören können“, sagt Luisa Glaser. Das wichtigste Werkzeug ist die Palpation, das medizinische Abtasten, das während der Ausbildung besonders geschult wird. Geübt wird mit anatomischen Nachbildungen von Skeletten, bedeckt mit Schaumstoffmatten, und mit Hilfe von Studienkollegen: „Wir haben in Seminaren abwechselnd gegenseitig Organe und Knochen erspürt, bis jeder Griff saß.“

Was zufällig und wundersam aussieht, erfordert Fingerspitzengefühl, Erfahrung und Fachwissen. „Wer zum Beispiel die Differentialdiagnostik nicht gut beherrscht, also das Ausschließen von Krankheiten, deren Symptome einander ähneln, kann Schaden anrichten“, sagt Luisa Glaser. Auch die eigenen Grenzen müsse man erkennen können. Einige ihrer Patienten habe sie zum Facharzt geschickt: „Bei akuten fiebrigen Infektionen und Tumoren zum Beispiel, können Osteopathen, wenn überhaupt, nur begleitend behandeln.“  

Osteopathie wirkt in der Regel langsam. Eine schnelle Hilfe, wie etwa durch ein Fiebermedikament oder eine Operation, ist nur in Ausnahmefällen möglich. Im Gegensatz zu ihren US-Kolleginnen, darf Luisa Glaser weder Arzneimittel verschreiben noch körperliche Eingriffe vornehmen. 

Ihr welteit anerkannter Hochschultitel „Master of Science der Osteopathie“ berechtigt Luisa Glaser auch nicht dazu, in Deutschland eine eigene Praxis zu führen. Dazu musste sie zusätzlich eine Heilpraktikerprüfung ablegen. „Zum Schutz der Patienten ist es gut, dass strenge Regeln gelten“, sagt sie. „Aber besser wäre es, wenn sie bundes- oder möglichst weltweit einheitlich wären.“

Trotz kritischer Stimmen wird Osteopathie auch hierzulande immer beliebter. Luisa Glasers Praxisteam hat sich inzwischen um zwei Kolleginnen vergrößert. Der Satz, den sie nach Therapiestunden oft hören, lautet: „Es geht mir besser.“ 

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